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Archiv-Artikel

das wort zum montag Mein Herz, so grün-weiß

Tief eingetaucht ist Kristo Šagor in Bremens Mix aus Nordischem und Klein-Berlin. Hausautor am Theater, holt er für die taz Perlen aus dem hanseatischen Schlick.

Was hat es nur mit geschriebenen Worten auf sich? Heute verfasst, werden sie erst morgen gelesen. Und heute gelesen, können sie gestern niedergeschrieben worden sein oder vorgestern. Oder sie stammen aus mythologischer Finsternis, wurden ein ums andere Mal abgeschrieben, von einer Sprache in die nächste übetragen, bis eine so hanebüchene Syntax dabei herauskommt wie bei der Gebrauchsanweisung dieses kleinen elektronischen Notizbuches, das mir vor Jahren unser Nachbar Herr V. schenkte, der nun schon lange tot ist.

Mein Freund K. schenkt mir mit redlicher Beharrlichkeit ein Buch nach dem anderen, eins zum Geburtstag, eins zu Weihnachten, und, wenn er zu Besuch kommt, auch mal eins zwischendurch. Gelesen habe ich davon kein einziges, und so liefen die Bücher Gefahr, in der Anonymität meiner Berliner Regale alphabetisch einsortiert und auseinander gerissen zu werden. Aber schlechten Gewissens ließ ich sie auf einem Stapel beisammen. Eines reiste schon mit mir nach München, ein anderes nach Mannheim, aber immer ungelesen.

Bis jetzt. Hier in Bremen habe ich mit einem begonnen, Javier Marias, „Mein Herz so weiß“. Da ich bei geschenkten Büchern nie Klappentexte lese, wusste ich lange nicht einmal, ob das ein spanischer oder südamerikanischer Autor ist, wusste nichts von der Handlung. Der Protagonist ist Dolmetscher, arbeitet also mit Sprache. Sein Vater ist Kunsthändler, arbeitet also mit Kunst und Fälscherkunst. Dieses Buch ist eine tickende Zeitbombe, ein sprachlicher Schläfer in mehrfachem Sinne. 1992 in Spanien veröffentlicht, 1996 in Deutschland erschienen, 2002 an mich verschenkt.

Beim Wechsel von Seite 130 auf Seite 131 geschah es. Gerade biegt mein Bus, die 24, baustellenbedingt von der Ostertorstraße in Am Wall ein, da lese ich: „Mein Vater besitzt Kostbarkeiten, die ihn nichts gekostet haben, darunter einige, von denen man nichts weiß. In der Bremer Kunsthalle verschwanden 1945 ein Gemälde und sechzehn Zeichnungen von Dürer.“ Wenn ich mich jetzt schnell genug über die Schulter umdrehe, kann ich vielleicht noch einen Teil der Kunsthalle sehen. Aber bestürzt bleibe ich sitzen und starre auf die Druckerschwärze. Die Zeitbarrieren zwischen Schreiben, Übersetzen, Schenken und Lesen stürzen in sich zusammen. Ich bin gemeint, gerade hier, genau jetzt. Aber im Prozess meines Formulierens und Ihres Lesens löst sich alles wieder in Mythologie auf.

Kristo Šagor