: So werden sie zum Gendetektiv
von HANNA GERSMANN
1. – 08.00 Uhr Frühstück: Machen Sie sich auf Überraschungen gefasst!
Heute könnte Ihr letzter Tag in Unwissenheit sein. Ab Sonntag müssen Hersteller gentechnisch veränderte Zutaten in Lebensmitteln kennzeichnen. Und Ihnen begegnet vielleicht schon in der nächsten Woche am Frühstückstisch der erste Hinweis auf Fremdgene: Auf der Packung Cornflakes zum Beispiel. Sie fürchten, damit beginne nun das Ende der Gen-Tech-freien Zeit? Von wegen. Die ist längst vorbei. Die Stiftung Warentest spürte schon im August 2000 in einer aus den USA importierten Backmischung für Pfannkuchen Gensoja und Genmais auf. Auch in niederländischem Sojaeis fanden sie veränderte Erbinformationen. Noch sind zwar keine gesundheitlichen Risiken von solcher Genkost nachgewiesen – das Gegenteil aber auch nicht. Und die Produkte hätten schon damals gekennzeichnet sein müssen. Seit 1997 gibt es dazu eine europaweite Regelung. Die Kontrollen funktionierten nur nicht. Das war bisher nicht allzu tragisch, ging es doch nur um einige schwarze Schafe. Noch ist keine „Anti-Matsch“-Tomate zugelassen. Weil sich das aber schon in diesem Jahr ändern könnte, hat die Europäische Union ein neues Gesetz beschlossen.
2. – 10.30 Uhr einkaufen: Nehmen Sie eine Lupe mit!
Im Supermarkt wird es auch mit der neuen Regelung keine Genregale geben, auch keine großen Schilder „Hier Gentechnik zum Sonderpreis“. Achten Sie deswegen auf das klein Gedruckte der Zutatenliste – vor allem bei Fertigmenüs, Süßigkeiten und Tütensuppen! Verarbeitete Produkte können Glucose, Maisstärke oder Sojaöl enthalten, die aus gentechnisch veränderten Pflanzen stammen. Auf der Verpackung steht dann zum Beispiel „Glucose genetisch verändert“ oder „aus genetisch veränderter Glucose hergestellt“. Auch ein Sternchen hinter der Zutat ist erlaubt, das auf eine Fußnote verweist. In jedem Fall müssen alle Bestandteile ausgewiesen werden, die vollständig oder anteilig gentechnisch hergestellt werden.
3. – 10.40 Uhr an der Fleischtheke: Vorsicht, Grauzone!
Egal ob das Rind, von dem sie ein Steak kaufen wollen, einmal mit Genraps oder -mais gefüttert wurde oder nicht: In der Auslage werden Sie keinen Hinweis finden. Der Händler muss Lebensmittel von Tieren, die mit Gentechnik gefüttert werden, nicht kennzeichnen. Das gilt außer für Fleisch gleichermaßen für Wurst, Eier, Milch, Joghurt oder Quark. Wenn Sie direkt beim Bauern einkaufen, können Sie aber einfach nachfragen. Er müsste wissen, was in seinen Trögen landet, weil auch alle gentechnisch veränderten Futtermittel – zumeist Gensojaschrot – kenntlich gemacht werden müssen. Zur Auskunft ist der Landwirt allerdings nicht verpflichtet.
4. – 13.30 Uhr Mittagspause: Löchern Sie den Kellner!
Ob der Radicchio in Ihrem Rohkostsalat gentechnisch verändert ist? Oder die Schimmelpilze im Käse? Die Kennzeichnungspflicht gilt nicht nur im Supermarkt, sondern auch in Restaurants, Kantinen oder Krankenhäusern. Fragen Sie zur Not den Kellner oder das Personal, falls Sie keinen Hinweis in der Speisekarte finden! Auch auf dem Markt muss Genobst und -gemüse gekennzeichnet sein. Erwarten Sie aber nicht zu viel. Zwar sind in den USA schon Papayas, Melonen und Zucchini von der Genplantage zugelassen. Genäpfel oder Generdbeeren gibt es aber noch nirgends zu kaufen.
5. – 15.30 Uhr Schleckerpause: Prüfen Sie Ihre Laster!
Ein Stück Schokolade am Nachmittag? Pech, die ein oder andere Tafel hat es schon lange in sich. Auch in Keksen und in Eis steckt schon mal gentechnisch verändertes Sojalecithin. Das lässt sich nur im Endprodukt nicht mehr nachweisen. Das Fremdgen produziert ein neues Protein, ein Eiweiß, und das wird im Laufe der Herstellung zerstört. Die alte Regel schrieb keine Kennzeichnung für Produkte vor, in denen sich die künstliche Erbinformation nicht wiederfinden lässt. Doch ob es einen Nachweis gibt oder nicht, das ist ab sofort egal: Sobald Genrohstoffe ins Lebensmittel wandern, muss gekennzeichnet werden. Das trifft besonders Öle aus Gensoja, die schon heute in vielen Regalen stehen. Zurzeit ist Soja neben Mais und Raps das Genprodukt schlechthin. Die Hälfte der weltweiten Produktion kommt von Genäckern – meist aus den USA. Für Vitaminsüchtige: Auch Vitamin E wird oft aus Sojabohnen isoliert.
6. – 17.30 Uhr Feierabend mit Kippe und Jogginghose: Der tote Winkel!
Bei Klamotten ist die Gensuche vergebens. Ihre Sporthose ist wahrscheinlich aus Genstoff, auf 80 Prozent aller US-Baumwollplantagen wachsen die High-Tech-Pflanzen. Doch einen Genaufdruck auf dem Etikett gibt es nicht. Erst einmal geht es bei der Neuregelung nur um Designerkost. Die formale Voraussetzung für die Kennzeichnung lautet: Die betreffenden Stoffe gelten als Lebensmittel. Tabak fällt damit zum Beispiel raus. Und auch Ihr Joint – selbst wenn sich die jüngsten Gerüchte um genmanipuliertes Marihuana bewahrheiten. Außerdem müssen die Lebensmittel tatsächlich aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt sein – und nicht nur mit deren Hilfe. So muss eine Bäckerhefe, die auf Nährstoffen aus genveränderter Maisstärke wächst, nicht gekennzeichnet werden. Das gilt auch für Geschmacksverstärker wie Glutamat oder für Zusätze wie Vitamin C oder B 12, die häufig mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen produziert werden. Und für Enzyme, die etwa in der Käseherstellung eingesetzt werden: Das Chymosin, das die Milch dick werden lässt, traditionell aus Kälbermägen gewonnen, kommt heute aus dem Genlabor.
7. – 20.30 Uhr ausruhen beim Bier: Danken Sie dem Reinheitsgebot!
Beim Bier, das in Deutschland gebraut wird, ändert sich nichts. Dort ist Gentechnik ausgeschlossen, weil dank des deutschen Reinheitsgebots anders als bei ausländischen Marken ohnehin keine Enzyme zugelassen sind oder etwa mit Mais gebraut wird. Einer anderen Art des Reinheitsgebots hat sich bislang übrigens auch die Mehrheit der deutschen Lebensmittelhersteller verpflichtet: Sie sicherten Greenpeace auf Anfrage zu, auch in Zukunft keine Gentechnik ins Sortiment aufzunehmen. Bahlsen, Dr. Oetker und Unilever gehen davon aus, dass sich Ketchup und Müsliriegel mit Fremdgenen schlecht verkaufen. Das musste Nestlé schon 1998 mit einem Schokoriegel feststellen. Nur wenige Kunden griffen zum „Butterfinger“, dafür nagte der Genriegel am Ruf des Konzerns. Laut Umfragen lehnen rund 70 Prozent die Gentechnik ab.
8. – 23.00 Uhr Zeit für einen Schlummertrunk: Nicht nachlassen!
Sie haben alles beachtet. Denken Sie. Doch heißt „nicht gekennzeichnet“ nicht gleich „Gen-Tech-frei“. Die Übergangsfristen sind enorm. Denn alles, was vor Sonntag produziert wurde und nur noch gelagert wird, muss nicht markiert werden. Das heißt für Whiskeytrinker: Ein zwölf Jahre alter Bourbon kommt frühestens 2016 mit Genaufdruck auf den Markt. Weil er aber anders als ein Malt nicht nur aus Gerste, sondern auch aus Mais hergestellt wird, kann er auch heute schon Fremdgene enthalten. Außerdem konnten die Gen-Tech-Skeptiker der Industrie nur die Pflicht abtrotzen, zu markieren, wenn der Genanteil über 0,9 Prozent liegt. Zudem wird vorerst niemand bestraft, der nicht richtig kennzeichnet. Zwar drohen nach dem Gentechnik-Durchführungs-Gesetz, das Rot-Grün entworfen hat, Bußgelder bis zu 50.000 Euro und Haft bis zu fünf Jahren. Aber das verwiesen die CDU-Länder im Bundesrat Anfang April in den Vermittlungsausschuss. So kann es frühestens im Juni in Kraft treten.