: Da ist was faul
Regierung gegen Zeitung: Hat „Berlingske Tidende“ mit der Veröffentlichung geheimer Irak-Papiere den Staat Dänemark „verraten“?
VON REINHARD WOLFF
Die Berlingske Tidende gilt als „alte Tante“ unter den dänischen Zeitungen. Nicht nur, weil sie im 256. Jahr erscheint, sondern auch, weil sie trotz kürzlicher optischer Auffrischung im Zweifel etwas behäbig und politisch immer mit deutlich konservativen Vorzeichen daherkommt. Berlingske Tidende stand und steht fest hinter dem Beschluss der dänischen Regierung zur Teilnahme an der Irakkriegskoalition.
Ausgerechnet sie freilich veröffentlichte im Februar als erste die geheimen Dokumente, welche das „Irakgate“ für die dänische Regierung so richtig ins Rollen brachten: Papiere des Auslandsnachrichtendienstes FE über die nicht vorhandenen, angeblichen Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins. Sie hatte sie von dem zwischenzeitlich entlassenen FE-Mitarbeiter Frank Søholm Grevil erhalten.
Weshalb die Staatsanwaltschaft nun gegen den Chefredakteur Niels Lunde und die beiden Journalisten Michael Bjerre und Jesper Larsen Ermittlungen eingeleitet hat. Ihnen wird vorgeworfen, „vertrauliche Informationen, welche die Sicherheit des Staates angehen“, verraten zu haben – ein mit bis zu zwei Jahren Haft belegter Straftatbestand. Und ein Unikum in der Mediengeschichte des Landes. An „keinen vergleichbaren Fall“ kann sich Strafrechtsprofessor Vagn Greve erinnern. Der meint, dass es durchaus eng für die Journalisten werden könne, sollte es zum Prozess kommen: „Auf dieser oberen Ebene der Staatssicherheit, die da behauptet wird, hilft ein Hinweis auf die Belange der Öffentlichkeit vermutlich nicht weiter.“
Pressejurist Oluf Jørgensen dagegen ist der Auffassung, dass die Zeitung nur ihre Pflicht getan hat: „Die Sicherheit des Landes ist doch nicht bedroht, wenn Hintergründe zur Teilnahme am Irakkrieg veröffentlicht werden.“ Wenn überhaupt, dann stellt sich auch für Mogens Blicher Bjerregård, den Vorsitzenden des dänischen Journalistenverbandes, die Frage nach der „Staatssicherheit“ ganz anders: „Nicht die Sicherheit des Staates ist hier bedroht, sondern die Garantie, dass wir eine offene demokratische Gesellschaft sind.“ Die Tatsache, dass im Dänemark Anders Fogh Rasmussens in einem solchen Fall die Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen werde, lasse Schlimmes befürchten. Das jetzige Ermittlungsverfahren könne dazu führen, dass sich keine Redaktion mehr an das Thema der unklaren Hintergründe der Kriegsteilnahme wage.
Das Einschreiten der Justiz gegen die drei Kollegen führte zu einer umfassenden Solidaridät innerhalb der dänischen Medien. Die liberale Tageszeitung Politiken sprach der Konkurrenz „höchstes Lob“ aus. Wenn eine Zeitung die Nachtruhe des Ministerpräsidenten störe, habe dies mit Hochverrat nichts zu tun. Und die linke Information forderte dazu auf, das Ermittlungsverfahren einzustellen: Jeder zusätzliche Tag zementiere die ohnehin bedrückende dänische Heimlichkeitskultur und den Mangel an Zivilcourage.
Doch die Justiz zeigt sich vorerst wild entschlossen, jegliche Information aus Geheimpapieren strafrechtlich zu verfolgen. Ende letzter Woche zitierte auch der Fernsehsender TV2 aus geheimen FE-Dokumenten. Man werde nun prüfen, ob auch gegen dessen Redaktion vorgegangen werde, meldet Politiken aus Kreisen der Anklagebehörde.