: Finanz-Vamp stapelt hoch
Alles schon mal da gewesen. Selbst der New Yorker Fondsmanager Bernard Madoff hat eine illustre Vorgängerin. „Die Spitzeder“ eröffnet in Martin Sperrs gleichnamiger Komödie heute im Engelbrot wieder einmal ihre Volksküche
Die globale Finanzkrise: ein nie da gewesenes Debakel ohne Präzedenzfälle? Weit gefehlt. Seitdem Geld im Umlauf ist, gibt es Zeugnisse von Wucher, Zinsbetrügereien und von Halsabschneidern, spekulativen Blasen und sensationellen Bankrotten. Und die Zeche zahlt der kleine Mann. Die Zeitlosigkeit der Thematik zeigt sich bilderbuchartig in der Komödie „Die Spitzeder“ von Martin Sperr, die im Theater Engelbrot und Spiele heute Abend seine Premiere haben wird. Teil der Inszenierung ist die Bewirtung der Gäste durch eine „Volksküche“, so dass sich die erste Vorstellung auch als Silvesterdinner verstehen lässt.
Das Stück basiert auf der wahren Geschichte der Schauspielerin und Spekulantin Adele Spitzeder. Durch die Versprechung hoher Zinsen lockte sie Arm und Reich und erwarb sich – unter anderem durch die Eröffnung einer Volksküche am Münchener Platzl – schnell den Ruf einer Wohltäterin. Bauern verkauften ihr Hab und Gut, weil sie meinten, von den Zinsen leben zu können. Der extravagante Lebensstil des selbst titulierten „Fräulein Spitzeder“ tat sein Übriges, um ihren Ruf in den ländlichen Raum Bayerns zu tragen. Charismatisch und gleichzeitig burschikos-herb machte sie Eindruck auf die einfachen Bauern und Grafen gleichermaßen. Ihr Geschäftsmodell ist aktuell bis heute wie das 50-Milliarden-Schneeballsystem von Bernard Madoff zeigt: Zinsen werden von den Einlagen der Kunden selbst bezahlt. Wollen zu viele gleichzeitig ihr Geld zurück, bricht das System zusammen. Es kam, wie es kommen musste, Spitzeder verprasste das Geld und wurde zahlungsunfähig. Schließlich landet sie im Gefängnis.
In der Umsetzung von Elena Vannoni und HP Trauschke erleben wir Aufstieg und Fall der schillernden Geschäftsfigur Adele Spitzeder in einem echten Volksstück. Die ungekürzte Originalfassung wird sinn- und humorvoll ergänzt durch Liedereinlagen, mit Texten von Ludo Vici. Ironische Kommentare und Reflexionen in geistreichen Wortspielen, etwa über die Gier der kleinen Leute: „Er will jemand sein der wichtig ist / richtig wichtig, mächtig, nicht nichtig ist / austeilen möcht er so viel er will / ohne Hirn und ohne Ziel / bläht sich auf ganz wacker dann / und macht sich dann vom Acker Mann.“
Passend, dass Fräulein Spitzeder in einem Bordell wohnt und arbeitet, das sie nach und nach mit ihren Einnahmen aufwertet. Das Rotlichtmilieu spiegelt sich in den aufwendigen Kostümen, farbenfroh und schillernd. Eine Schar schöner Mädchen führt Tanzeinlagen auf und bezirzt die kreditfähigen Kunden, die zu Spitzeder in die sogenannte „Sprechstunde“ kommen. Liebe ist käuflich: Wenn Spitzeder shoppen geht, dann werden die teuren Kleider samt Vorführmodelle gleich mit nach Hause genommen.
Das pechschwarze Kostüm der Adele Spitzeder, welches sie erst gegen Ende des Stücks gegen ein goldglitzerndes Gewand eintauscht, steht im absoluten Kontrast zu jener bunten Welt, in der sie sich befindet. Während der gesamten Aufführung sitzt der Zuschauer mittendrin, wie in einem bayerischen Brauhaus. Mal findet das Geschehen auf der Bühne statt, mal auf dem Laufsteg, in den Rängen oder auf dem Parkett.
In der Figur Adele Spitzeder, grandios gespielt von Petra Pan (alias HP Trauschke), vereinen sich Widersprüche. Als Frau bewegt sie sich in reinen Männerdomänen. Der Hotelier und Zuhälter, der ihr anfangs noch verhasst war, wird später ihr Buchhalter und Vertrauter. Und auch die Finanzwelt ist von Männern geprägt. Ihr Credo „als Frau lohnt es sich nicht zu arbeiten, als Mann vielleicht. Als Frau lohnt sich nur das Heiraten“ verdeutlicht, welche Macho-Ansichten Spitzeder hat. Ihre Frauenfeindlichkeit geht sogar so weit, dass sie Frauen keinen Geschäftssinn zutraut und es ablehnt, mit ihnen zu arbeiten. Trotzdem leistet sie Widerstand gegen diese Männerwelt. Sie handelt nach ihren eigenen Vorstellungen, geleitet von Selbstsucht und Habgier. Moralische Prinzipien spielen keine Rolle, Gesetze haben keine Gültigkeit für sie.
Zusätzlich zu den vielen Parallelen des Falls Spitzeder zu der aktuellen Finanzentwicklung liefern die Liedtexte einen Kommentar zu der politischen Bewältigung der Krise: „Das Volk, das wird’s dann schon tragen / Denn das Volk, das muss man nicht fragen.“ In diesem Satz steckt die ganze Wahrheit, beschreibt er doch die Korrumpierung von politischen Systemen und die Anarchie der freien Marktwirtschaft. Das Volk wird letztlich für dumm verkauft. Da ist die Frage angebracht, „ja, was passiert jetzt, wo wir’s wissen?“ Hoffentlich liefert das neue Jahr eine Antwort hierauf. Nach 130 Jahren wäre das zumindest zu wünschen.
MARYAM SCHUMACHER