piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Kodes der bewegten Bilder

Das Medium Film soll als Lehrmittel genutzt werden, fordern Bildungspolitiker. Im Rahmen der Schulfilmwoche zeigen 80 Kinos 50 Filme. Doch Regisseur Wolfgang Becker stößt mit „Good Bye, Lenin!“ bei den Jugendlichen auf geringes Interesse

von HANNES HEINE

„Warum schwitzen Sie so?“, fragt ein Schüler den Regisseur. „Suchen Sie Schaupieler für Ihren nächsten Film?“, will ein anderer wissen. Wolfgang Becker wirkte ein wenig unterfordert. Gerade haben rund 40 Schüler seinen Film „Good Bye, Lenin!“ im Kino in den Hackeschen Höfen angesehen. Nun soll Becker Rede und Antwort stehen. Denn dies ist keine gewöhnliche Aufführung, sondern die erste Vorstellung im Rahmen der Schulfilmwoche.

Über 80 Filmtheater in Berlin und Brandenburg wollen Schulklassen aller Altersklassen noch bis Freitag fast 50 Filme anbieten. In der Regel werden die Vorführungen von Lehrern vor- und nachbereitet. Zu einigen Terminen kommen auch Filmmacher wie Volker Schlöndorff – oder Wolfgang Becker.

Doch Kameraführung und Regieanweisungen werden allenfalls kurz angerissen. An inhaltlichen Fragen haben die Jugendlichen offenbar kaum Interesse. Nach dem Motto „Good Bye, Schule“ drehten sich die Fragen eher um – medienpädagogisch gesehen – Belangloses. Möglicherweise konnten viele der anwesenden 40 jungen Leute auch deshalb wenig mit der geschichtlichen Thematik anfangen, weil sie aus Westberlin stammen.

Gerade Jugendliche leiden unter einer „Filmleseschwäche“, hatte Kulturstaatsministerin Christina Weiss das Projekt „Lernort Kino“ in der vergangenen Woche begründet. Da das 21. Jahrhundert durch audiovisuelle Medien bestimmt werde, bedürfe es verstärkter Medienkompetenz. „Wer etwas über das Machen von Filmen weiß, kann differnzieren“, lautete die Hoffnung der Ministerin.

Angeregt hat die Schulfilmwoche das Institut für Kinokultur. Tatsächlich fanden die Idee vom „Lernort Kino“ nicht nur die Kinobetreiber gut, deren Branche bis vor kurzem stagnierte und denen wirksame Werbung sicher gut täte. So bieten etwa die Unternehmerverbände der großen Multiplexkinos angesichts zahlreich teilnehmender Schulklassen Rabatte.

Auch Institutionen wie das Medienpädagogische Zentrum beteiligen sich. Es erarbeitete die sozialpädagogische Gestaltung. Rolf Bähr von der Filmförderungsanstalt warb für den Unterricht im Kino, ebenso Berlins Bildungssenator Klaus Böger (SPD) und Brandenburgs Bildungsminister Steffen Reiche (SPD). „Nach 100 Jahren Film brauchen wir endlich einen Kanon für Filme“, betonte Reiche. Literatur werde durch einen Kanon begleitet, die ca. 5.000 Filme, die ein 20-Jähriger im bundesdeutschen Mittel schon gesehen hat, blieben aber unkommentiert, bedauerte der Minister.

Mitorganisator Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, forderte daher als Bildungsziel nicht nur, „dass Schüler die Kodes der bewegten Bilder dechiffrieren können“. Sondern er treibt nach eigenem Bekunden eine Debatte um pädagogisch wertvolle Filme voran. Welche 25 Filme jeder Schulabgänger demnach gesehen haben sollte, soll mittelfristig ein Gremium kompetenter Köpfe untersuchen.

Da fehlen eigentlich nur noch die passenden Schüler für das anspruchsvolle Projekt. Die Gruppe in den Hackeschen Höfen erfuhr gestern immerhin noch, dass Requisiten aus DDR-Zeiten in den Studios Potsdam-Babelsberg und Berlin-Adlershof noch ausreichend vorhanden sind. Und dass die Filmcrew dennoch ähnliche Probleme wie Alexander Kerner, die Hauptfigur aus „Good Bye, Lenin!“ hatte bei der Beschaffung von Lebensmittelverpackungen mit Orginal-DDR-Design. Letztlich musste einiges nachgedruckt werden, wobei historische Fotos als Vorlage dienten, erzählte Regisseur Wolfgang Becker. Und „den am Hubschrauber über der Karl-Marx-Allee hängenden Lenin mussten wir wegen Wetter und Verkehr komplett am Computer machen“.

Doch selbst dadurch ließen sich die Schüler nicht zum Dechiffrieren bewegter Bilder hinreißen. Das Manko an Filmverständnis war unübersehbar.