Im Hinterhof der Liebe

Geständnisse einer Headbangerin: Ja, ich gehöre der Brunner-&-Brunner-Sekte an

Auf einem schwäbischen Highway to Hell erlitt ich einen niedlichen Kulturschock

Zerbrochene Liebe wurde schon besungen, seit die Menschen singen – aber noch nie so wunderbar wie die leicht ergrauten Gebrüder Brunner sie besingen: „Und ich fühle mich jetzt wie ein Hinterhof im November. Das letzte Mal war ich so drauf, als ich in der letzten Klasse hängen geblieben bin.“ Das sind Worte, die leuchten; Worte, die mit ihrer Kraft und Schönheit die wirkliche Dramatik des Lebens und die brennenden Schmerzen der Verzweiflung wahrhaftiger und drastischer beschreiben, als Hartmut Engler oder Peter Maffay es jemals zustande bringen könnten. Es sind Worte, die glänzen und sich einprägen; Worte die man nie wieder vergisst. Jedenfalls nicht so schnell.

Charly und Jogl Brunner sind … – ja was eigentlich? Schlagersänger? Volksmusiker? Oder irgendwas dazwischen? „Wir sind halt Brunner & Brunner“, antwortet Charly, der es auch nicht so genau weiß, etwas brummig, wenn man ihn fragt. Und sie sind, wie sie selbst sagen, der „berühmteste Kulturexport der Steiermark nach Arnold Schwarzenegger“.

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich bin Brunner-&-Brunner-Fan, und ich stehe dazu. Aber zugegeben, es war ein langer Weg, bis ich selbst die Offenheit erlangte, dieses fremde Gefühl in mir zulassen zu können. Anfangs wehrte ich mich dagegen, ich wollte nicht, doch dann … – um es mit Goethe zu sagen: „Das kommt nur auf Gewohnheit an, so nimmt ein Kind der Mutter Brust nicht gleich am Anfang willig an, doch bald ernährt es sich mit Lust.“ Doch die Brunners können meine Gefühle für sie und ihre Sprechgesänge noch viel schöner ausdrücken als Goethe: „Ich kann mich noch genau erinnern, wie du das erste Mal sagtest ‚Tue es nicht‘, und als es dann geschah, war es wie eine Reise in den Himmel – du warst in mir und ich in dir, bis ich fast verbrannte auf deiner Haut“. Das ist wie, ach, wie soll ich es sagen … Am besten, ich lasse meine Idole zu Wort kommen: „Worte, die vielleicht mehr sagten, als sie bedeuteten.“ Diese verdammte Ehrlichkeit war es, die mich in ihren Bann zog!

Alles fing damit an, dass ich eines Abends im Auto einiger mir vertrauter, ja gar lieb gewonnener Menschen mitfuhr – Menschen, die ich bis dahin als durchaus zurechnungsfähig kennen gelernt hatte. Kaum rollte der kleine Pkw einen schwäbischen Highway to Hell entlang, erlitt ich einen niedlichen Kulturschock: Eine Brunner-&-Brunner-Kassette wurde in den Schacht geschoben, und alle grölten mit. Ich war verwirrt. Wollten die mich verarschen? Oder war ich in den Fängen einer geheimnisvollen Sekte? Es folgten weitere Autofahrten, kleine Brunner-&-Brunner-Kassettengeschenke wurden ausgetauscht, auch hier und da mal die eine oder andere CD – und bald fand ich mich wieder, wie ich in einem Drogeriemarkt selbst eine Brunner-&-Brunner-Kassette für 1,99 Euro erstand …

Das war wohl der Augenblick, in dem ich meinen Widerstand endgültig aufgegeben hatte. Orgiastische Brunner-&-Brunner-Autofahrten folgten – und ich selbst grölte mit! Eines Tages war es dann so weit. Mein Brunner-Sektenbetreuer rief an: „Hey, die Brunners kommen nach Karlsruhe!!!“ Ich konnte nicht mehr! Die Brunners SEHEN? Behände waren Freikarten organisiert: „Hab mich oft verflogen, manchmal dumm gelogen …“ Na ja. Der Abend der Abende rückte näher: „Da flutschten die Tage nur so weg.“ Mein Betreuer warnte mich vor: „Der Herr V. wird heute Abend durchdrehen, du wirst ihn nicht wiedererkennen.“ Herr V. und seine Frau waren die Sektenanführer und Autobesitzer. Ich war gespannt wie ein Flitzebogen. Endlich ging es los. Die Bühnenshow war gigantisch! Als besonderen Effekt hatte man sich ausgedacht, am Anfang zwei schwarze Stoffbahnen von oben herabfallen zu lassen. Derartiges hatte ich tatsächlich nie zuvor gesehen. Den Rest des Konzertes verbrachte ich wie in Trance. Gern hätte ich der sechsköpfigen Band zugerufen: „Und ich klebe noch immer an dir, wie ein nasses T-Shirt, das ich nicht ausziehen kann“, aber es hatte mir die Sprache verschlagen! Die beiden Brunners live auf der Bühne, und vor allem das merkwürdige Publikum: 90 Prozent Hausfrauen und zehn Prozent Sektenmitglieder. Denn es waren auch fremde Sekten anwesend: Fremde junge Männer mit Trainingsjacken und Out-of-Bed-Frisuren, die ekstatisch zur Bühne vordrängten und headbangten, so wie wir auch. Der Rest verlor sich in farbenprächtigem Getümmel. Als der Rausch vorbei war, lungerten wir noch eine Weile vor der Stadthalle herum, in der Hoffnung, die Brunners noch mal zu sehen. Aber die hatten sich schon lange verpisst, frei nach ihrem Motto: „Hab mich in dieser Nacht einfach davongemacht – wie’s halt so ist …“

Morgen sind die Brunners übrigens im Berliner „Tempodrom“. Deshalb kam ich auch auf das Thema. CORINNA STEGEMANN