: Unter eins, zwei oder drei
Heute ist der „Tag der Pressefreiheit“ – und alle denken an Unsitten und Verstöße fremder Länder. Doch richtig frei ist die Presse nicht mal in Deutschland – zumal, wenn man von außen draufschaut
VON ALEXANDRA FÖDERL-SCHMID
Die Freiheit der Berichterstattung wird in Deutschland durch Regeln eingeschränkt, die für ausländische Journalisten zuerst einmal schwer verständlich sind, da es sie eigentlich gar nicht gibt. Zumindest nicht niedergeschrieben. Es sind informelle Regeln, die wie ein Spinnennetz über dem politischen Betrieb und den Medien in Deutschland liegen. „Zensur findet nicht statt“ heißt es in Artikel fünf des deutschen Grundgesetzes. Und jeder ausländische Korrespondent, der aus Deutschland berichtet, lernt ihn sehr bald zu zitieren. Aber es nützt meist wenig, sich auf dieses Grundrecht zu berufen.
Gerade in Deutschland nämlich gibt es ein engmaschiges Gewebe, das vor allem deutschen Politikern Kontrolle über die Medien erlaubt, die kaum auffällt. Die deutschen Medien selbst machen diese Übereinkünfte nur selten öffentlich, ja, stellen sie selbst oft genug nicht einmal in Frage, was nicht zuletzt den Politikern ermöglicht, ihren journalistischen Hofstaat mit Infohäppchen bei Laune zu halten.
Die informellen Regeln erst einmal aufzuspüren, ist das Hauptproblem jedes Auslandskorrespondenten, der nach Deutschland kommt. Deutsche Politiker sprechen nicht einfach so mit Journalisten, sondern „unter eins“, „unter zwei“ oder „unter drei“: Dahinter verbergen sich Abstufungen, die über den Grad der Veröffentlichungsmöglichkeiten entscheiden: „Unter eins“ heißt zitierbar – da drückt man sich vorsichtiger aus. „Unter zwei“ kann der Gesprächspartner sich schon angriffslustiger zeigen, denn die Absprache lautet: Er darf zwar nicht direkt zitiert werden, sondern nur in Formulierungen wie „verlautete aus Regierungskreisen“ oder „hieß es in Berlin“. Infos „unter drei“ indes sind ausschließlich nur für den Hintergrund gedacht, oft genug aber auch mit der Botschaft versehen, dass sie durchaus an einer geeigneten Stelle einfließen könnten. Kein Wunder, dass dieses Fachchinesisch für Journalisten in Deutschland vielen spanisch vorkommt.
Zuerst die Deutschen
Die Möglichkeiten, an solchen Hintergrundgesprächen teilzunehmen, ist für Auslandskorrespondenten allerdings eingeschränkt, da sich die gestreuten Botschaften vor allem an inländische Kollegen richten. Ausländische Korrespondenten hingegen gelten in solchen Zirkeln als „Sicherheitsrisiko“.
Und nicht nur dort: Auch bei Interviewanfragen haben Auslandskorrespondenten häufig das Nachsehen.Wenn es nicht gerade die New York Times ist, die zum Gespräch bittet, tun sich hochrangige deutsche Politiker oft schwer, ihre Zeit einem ausländischen Journalisten zu opfern. Vielfach heißt es mit Blick auf den nächsten Wahlkampf, den nächsten innenpolitischen Schachzug: Zuerst die deutschen Journalisten! Von gleichen Arbeitsbedingungen kann man daher nicht sprechen.
Kulturschock Autorisation
Hinzu kommt die in Deutschland in dieser Form eigen- und einzigartige Praxis der Interview-Autorisation: Schließlich gilt in Deutschland nicht etwa das gesprochene Wort des Interviewpartners, sondern die Formulierung des Pressesprechers, der das Interview vor der Druckfassung „abnimmt“ und freigibt. Erlaubt ist, was dem Pressesprecher gefällt. In den angelsächsischen Ländern wird die nachträgliche Korrektur von Interviews als Eingriff in die Pressefreiheit abgelehnt und ist auch in Nachbarländern wie in den Niederlanden oder in Österreich so nicht üblich.
In der Schweiz gibt es es sogar die Regel: „Die interviewte Person darf keine grundsätzlichen Änderungen vornehmen, welche dem Gespräch eine andere Orientierung geben (Veränderungen des Sinnes, Streichung oder Hinzufügung von Fragen)“, wohingegen die deutsche Autorisierungspraxis – auch wenn sie, initiiert von der taz, unlängst in einer medienübergreifenden Aktion auch schon von der einheimischen Presse gegeißelt wurde – beispielsweise bei japanischen Kollegen stets einen regelrechten Kulturschock auslöst.
Dabei wird häufig vergessen, dass die Korrespondenten ein Bild Deutschlands im Ausland zeichnen und damit sehr starken Einfluss haben, ob dieses Bild positiv oder negativ gezeichnet wird. Im „Verein der Ausländischen Presse in Deutschland“ (VAP) sind immerhin rund 420 Journalisten aus 61 Staaten vertreten – und die Liste der Kollegen, die erst nach Tagen oder überhaupt nie von öffentlichen Stellen zurückgerufen werden, ist entsprechend lang.
Dass die Auslandspresse häufig schlicht ignoriert wird, widerspricht dabei eigentlich den Interessen des Landes. Und betont nicht gerade die rot-grüne Regierung die größere Rolle Deutschlands auf der Weltbühne?
Die Autorin ist Vorsitzende des „Vereins der Ausländischen Presse in Deutschland“ (VAP) und Korrespondentin der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“