peter unfried über Charts : Die Geschichte von der Giraffe Heinz
Unkonventionelle Lebensentscheidungen (IV): In unserer Wohnung lebt auch eine riesige Giraffe aus Afrika
Ehrlich gesagt, ich hielt die Sache am Anfang für sehr dubios. Vorsichtig formuliert. Aber die verrückten Kinder bestehen halt darauf. Eines Tages, ich kam leer und illusionslos wie immer nach Hause, da krähten die: „Papa, kennst du eigentlich die Giraffe Heinz?“
Giraffe Heinz? Wer soll das sein?
„Die kleine, große Giraffe Heinz?“
Kenne ich nicht. Nie gehört von.
Ich erfuhr: Die Giraffe Heinz war ein Giraffenkind aus Afrika und wohnte jetzt offenbar bei uns.
Na ja, prima und willkommen, Heinz. Wir haben ja auch „Hasen Ba“, „Hasen Bu“, „Bär Unfried“, „Eisbär Bascha“ und solche Leute. Die sind alle aus Stoff. Die Kinder wissen das letztlich natürlich. Dann gibt es da noch eine Katze, aber die ist leider auch nicht echt, sondern so heißt ihre Tante. Das wissen die Kinder auch ganz genau.
Ich brummte: „Na dann bringt sie mal her, eure Giraffe Heinz, damit ich ihr den Hals umdrehen kann.“
Das gehe nicht.
Warum nicht?
Die Kinder erzählten mir, dass die Giraffe Heinz drüben im Pianozimmer in der Matratze sei.
„In der Gästematratze?“
„Nein, in der Giraffe-Heinz-Matratze.“
Die alte Matratze lehnt immer bezogen mit einem Spannleintuch im Pianozimmer an der Wand.
„Aber auf der schläft doch immer die Tante Katze, wenn sie übernachtet. Wo soll denn die jetzt hin, wenn da die Giraffe Heinz drin wohnt?“ Sie zuckten mit den Schultern und zogen ab. Das war mal wieder nicht ihr Problem.
Ich schrie ihnen hinterher. „He, wartet doch mal. Kann ich die Giraffe Heinz mal sehen?“
*
Das ging dann leider nicht. Die schlief doch jetzt in der Matratze.
„Aber ihr habt sie gesehen?“
Natürlich hatten sie. Das erste Mal, als sie zum Fenster reinschaute.
Zum Fenster rein?
Ja, die hatte doch draußen gestanden und ans Fenster geklopft.
Ich weiß natürlich, dass Giraffen groß werden können. Aber ich bin leider auch von Natur aus skeptisch. „Wie groß ist denn eure Giraffe Heinz, Kinder?“
Die Kinder sagten mir, dass die Giraffe Heinz gaaanz groß sei. Das muss sie auch sein. Wir wohnen nämlich im vierten Stock.
*
Letztlich muss man sagen: So eine kleine Riesengiraffe in der Wohnung ist weit weniger kompliziert, als man auf den ersten Blick denken könnte. Die Giraffe Heinz liegt die meiste Zeit in der Matratze unter dem Spannbetttuch. Da schläft sie oder spielt sie oder käut sie wieder. Ansonsten steht sie wahrscheinlich vor dem Fenster oder macht sonst was. Aber das weiß man nicht genau, weil tagsüber ist ja meistens keiner da. Außerdem ist die Giraffe Heinz ein bisschen scheu. Sie lässt nur Kinder an sich ran. Wenn Große sich der Matratze nähern, ist sie immer schon weg.
Ich dachte ja immer, dass Giraffen Unmengen von Blättern fressen. Aber Heinz reichen Unmengen von Schokolade. Die lässt sie sich abends von den Kindern unter die Matratze bringen. Dann hört man sie darunter kichern und krähen und Witze erzählen von der Giraffe, die in die Bar kommt und ein Bier bestellt.
Danach sieht dann die Matratze aus wie die Sau, aber das nimmt Heinz hier natürlich keiner übel. Weil: Inzwischen lieben die Giraffe Heinz alle.
Na ja, fast alle. Die Tante Katze hat ja den Verdacht, dass die Giraffe Heinz eine Art Schlepper oder Kokaindealer sein könnte, zu dem nachts die Kundschaft unter die Matratze schleicht. Oder ein untergetauchter Drogenkonsument. Aber das halte ich, nach allem, was ich weiß, für fast ausgeschlossen. Wahrscheinlich ist die Katze überdreht wie alle Erwachsenen – oder sauer, weil Heinz ihr die Matratze weggenommen hat.
Sonst läuft eigentlich alles ziemlich prima. Aber, ehrlich gesagt: Ich wünsche mir, dass ich auch mal zu der Giraffe Heinz in die Matratze kann. Und mit ihr Schokolade essen darf. Ich kenne da ja auch einen Witz, den ich ihr mal gern erzählen würde.
Ich habe die Kinder schon öfter gefragt, was sie davon halten. Und ob sie die Giraffe Heinz nicht mal fragen können. Die Kinder sagen dann immer: „Nein, Papa, du kannst nicht zu Giraffe Heinz.“
Dann verschwinden sie in der Matratze.
Beim letzten Mal habe ich mich vor die Matratze gestellt und geschrien: „Ich will aber. Ich will aber.“
Ich habe lange geschrien. Schätzungsweise eine halbe Stunde.
Endlich kamen die Kinder unter dem Tuch vor. Sie schauten so streng, dass ich sie fast nicht erkannt hätte. Sie sagten: „Schluss jetzt, Papa. Du kannst nicht zu Giraffe Heinz.“ Und ich: „Warum? Ich will aber.“
So ging das hin und her. Irgendwann sagten diese blöden Kinder: „Armer Papa. Das ist doch alles nur Spiel.“
Ich glaube ihnen kein Wort.
Fragen zur Giraffe Heinz? kolumne@taz.de