: Eine Branche im Aufwind
Die Luft- und Raumfahrtindustrie der Region will dritte Säule der Industrie in Deutschland werden. Sie profitiert vom Militär. Die Unternehmen siedeln am südlichen Stadtrand und mitten in Kreuzberg
VON RICHARD ROTHER
Schon auf dem weitläufigen Firmenparkplatz in Dahlewitz am südlichen Berliner Ring ist zu erkennen, welche Bedeutung Rolls Royce (RR) für die Region hat: die Wagen – alle Größenklassen sind vertreten – kommen aus Teltow-Fläming, Märkisch-Oderland, aus den Landkreisen Potsdam-Mittelmark und Dahme-Spree, und natürlich aus Berlin. Rolls Royce in Dahlewitz, das ist so etwas wie der Leuchtturm im Speckgürtel und das Flaggschiff der Luft- und Raumfahrtindustrie der Region. Eine Industrie, die aufholt – und die von Großaufträgen der Bundeswehr profitiert.
Die Triebwerkfabrik sieht nicht nach Großindustrie aus: keine rauchenden Schlote, keine öligen Werkshallen, keine riesigen Kräne. In der Montagehalle ist es hell, sauber, aufgeräumt – die obligatorische Wandzeitung heißt „production performance board“. Hier werden die Triebwerke zusammengebaut, die Teile kommen per Lkw aus dem hessischen Oberursel und von anderen Zulieferern. An jeder Montagestation leuchtet eine Ampel. Sie gibt Auskunft, ob alles nach Plan läuft.
Rund 850 Beschäftige arbeiten hier, indirekt hängen 1.500 weitere Jobs der Region an der Fabrik. Rund ein Fünftel des Brandenburger Exports werde durch das Dahlewitzer Werk erwirtschaftet, sagt RR-Manager Norbert Arndt nicht ohne Stolz. Die in Dahlewitz entwickelten und montierten Triebwerke werden in alle Welt geliefert, für Zivil- und Militärflugzeuge.
Bislang sei der militärische Anteil relativ klein gewesen, sagt Arndt. Doch mit dem Bau des europäischen Militärtransporters A400M ändert sich das. Entwicklung und Montage des entsprechenden Triebwerks erfolgen zum größten Teil in Brandenburg. Nicht nur in Dahlewitz.
Zweites Großunternehmen ist MTU Maintenace (Motoren- und Turbinen-Union) in Ludwigsfelde. Hier wird die Endlinie für die 180 bestellten Triebwerke des Militärtransporters aufgebaut. Insgesamt würden damit bis zu 250 Arbeitsplätze in Brandenburg entstehen, schätzen Branchenexperten.
Auch das MTU-Werk ist blitzblank. Bislang wurden hier vor allem Triebwerke und Gasturbinen gewartet. Bei Industriegasturbinen dauert das rund 70 Tage. Für eine Wartung wird die Turbine in ihre 1.000 bis 3.000 Einzelteile zerlegt, jedes davon wird überprüft, überholt oder ausgetauscht. Anschließend wird die Turbine wieder zusammengefügt und verschickt. Rund 118 Millionen Euro Umsatz wurden so im Jahr 2003 erzielt.
Die MTU-Geschichte in Ludwigsfelde begann 1936: Das damals neu errichtete Werk baute vor allem Triebwerke für die Nazi-Wehrmacht. Industriepolitisch profitiert die Region noch heute davon: Denn auch nach dem Sieg über Nazi-Deutschland wurde das Werk genutzt – nun zur Instalthaltung von militärischen Triebwerken. 1990 übernahm die MTU das Werk, investierte seitdem rund 120 Millionen Euro, unter anderem in eine neue Testanlage.
Zurzeit steckt der Standort, an dem rund 540 Beschäftigte arbeiten, allerdings in Schwierigkeiten. Ab 1. Juni soll es in einigen Bereichen Kurzarbeit geben, der geplante Werksausbau für die Endmontage des neuen Militärtransporter-Triebwerks soll frühestens 2006 beginnen, zwei Jahre später als geplant. Das Unternehmen begründet diese „vorübergehenden Maßnahmen“ mit sinkenden Umsätzen, die durch die Krise der Luftfahrt entstanden seien. Nach groben Planungen sollte die Beschäftigtenzahl bis 2010 fast verdoppelt werden. Der MTU-Betriebsrat fürchtet nun, dass der Werksausbau zum großen Teil mit Leiharbeit abgewickelt werde.
Dass die Luftfahrtindustrie auch kleinen Firmen Nischen bietet, beweist die Firma Holmco, die sei 1995 in Kreuzberg produziert. Auf einem Hinterhof an der Ohlauer Straße basteln rund 100 Beschäftigte – überwiegend Frauen – in Handarbeit Spezial-Akustikgeräte zusammen: Mikrofone, Headsets, Kopfhörer. Sie kommen in Flugzeugen, Hubschraubern, auf Schiffen oder in Polizeiwagen zum Einsatz. Rund 10,5 Millionen Euro setzt das Unternehmen damit um. An ein Umzug sei nicht gedacht, sagt ein Mitarbeiter. „Die Bedingungen hier sind optimal.“
Insgesamt sehen Branchenverbände die Region Berlin-Brandenburg/Sachsen auf gutem Weg, zur dritten Säule – neben Hamburg/Norddeutschland und München/Bodensee – in der deutschen Luftfahrtindustrie aufzusteigen. Auch wenn einzelne Bereiche, wie die Triebwerksindustrie, noch unter der Krise der zivilen Luftfahrt leiden. 3.500 Menschen sind in der Region zurzeit in der Branche beschäftigt, die eng mit der TU Berlin, der Uni in Cottbus und der Fachhochschule in Wildau zusammenarbeitet. Trotz dieser Kooperationen und der ILA als weltweit beachtetes Ereignis sieht der Geschäftsführer der Unternehmerverbandes der Region, Christian Amsick, noch ein Manko: „Ein herausragender Standort braucht auch einen herausragenden Flughafen.“