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Archiv-Artikel

Trause ist nicht gleich Auster

Was bedeutet das Anagramm? In Berlin las Paul Auster aus seinem neuen Roman „Die Nacht des Orakels“ und musste sich bohrenden Fragen stellen. Immerhin ließ sich der amerikanische Schriftsteller zu der Aussage hinreißen, er schreibe mit seinen Romanen an einer Art „innerer Biografie“

VON MARION DICK

Es gibt zwei Wege, sich auf einen Roman einzulassen: Entweder der Leser vertieft sich in die Fiktion und lässt sich von der Handlung mitreißen; oder aber er versucht zwischen den Zeilen zu lesen, um mehr über den Autor zu erfahren. Bei Lesungen vermischen sich diese Bedürfnisse: Im Mittelpunkt steht weder das Werk noch der Autor, sondern ihr Verhältnis zueinander. Irgendwo schwebt also der Wunsch, einem Schriftsteller näher zu kommen, aber nur auf dem sublimen Weg seiner Kunst.

Wenn dieser Autor Paul Auster heißt, findet sich jegliche Spezies an Lesern zusammen, Professoren und Studenten, Hobbyleser und Autogrammwütige. Die Schlange der Abendkasse des Deutschen Theaters in Berlin reicht über den Hof bis hin zu Max Reinhardts verewigter Büste. Das DT sollte über ein festes Engagement Paul Austers im Ensemble nachdenken.

Drinnen liegen nicht nur all seine Bücher aus – zuoberst Austers neuer Roman „Die Nacht des Orakels“, aus dem er an diesem Freitagabend liest, aber auch Werke seiner Ehefrau Siri Hustvedt sind darunter. Bei Betreten des großen Saals klingt Musik ihrer Tochter Sophie aus den Boxen, und kurz bevor Auster durch den Vorhang auf die Bühne schlüpft, findet Hustvedt ihren Platz in der fünften Reihe.

Sie verzwirbelt die Beine und lauscht ihrem Mann, lacht an einigen Stellen, deren Humor sonst keiner versteht. Hier hat sich eine kleine Künstlerfamilie versammelt – halb unsichtbar, halb anfassbar – und schenkt der Lesung eine wunderbare Aura.

Paul Auster ist nicht allein gekommen: Eine ganze Garde steht ihm zur Seite. Rowohlt-Verlagsleiter Alexander Fest begrüßt alle Anwesenden, Jan Josef Liefers wird einen Teil auf Deutsch lesen, Martin Lüdge unangenehme Fragen stellen und Sebastian Krause die Antworten übersetzen – sofern man ihn nicht vergisst, was immer wieder passiert, zum Amüsement des Publikums.

Es würde selbst gern ungefragt Fragen stellen. Und spricht nicht die Mehrzahl im Saal genug englisch, um Austers ruhige, einfache Kommentare, die manchmal ein s auf der Kippe zum Lispeln hervorbringen, zuverstehen und ins eigene Leben zu übertragen? Dass er zum Beispiel der Ansicht ist, die meisten Menschen würden lieber in die Vergangenheit reisen, um dort vielleicht Thomas Jefferson beim Schreiben der „Declaration of Independence“ zuzusehen, als in die Zukunft. Oder dass er zum Schreiben seiner Bücher stets einen Titel braucht, der aber manchmal Jahre lang auf sich warten lässt.

Paul Auster ist bescheiden, nicht geltungsbedürftig, und hinter seiner Begleitung versteckt er sich fast. Er ist schwarz gekleidet, ein wenig älter als auf Rowohlts neuestem Buchumschlag, schaut zunächst kaum ins Publikum. Als er mit der letzten Passage fertig ist, streckt er seinem Mitleser zum Dank die Hand rüber und wippt kurz verlegen auf dem Stuhl. Seine dunkle, raue Stimme, sein gleichmäßig-rhythmisches Erzählen wirkt wie eine Massage. Man möchte schnurren und lernt den guten alten Story-Teller aus dem Ohrensessel wieder zu schätzen.

Auch als Jan Josef Liefers vorträgt, bleibt Austers Blick auf die Seiten fixiert, als wolle er in der Geschichte drinbleiben, einer literarischen Zwickmühle aus Verschachtelungen, die den Helden im Kreis laufen lässt. Auf seinen Lesestationen Köln, Berlin und Hamburg fängt er jeweils ein Stück weiter hinten an: Selbst Auster, der Meister selbstreflexiver Erzähllabyrinthe, sieht die Dinge gern vorwärts schreiten.

Deshalb ist es dämlich und unprofessionell, den Autor ständig mit seinen Figuren in Zusammenhang zu bringen. Immer wieder stellt Martin Lüdge die penetrante Frage nach autobiografischen Inhalten, die einem –so sollte er im Studium gelernt haben – nichts über Sinn und Wert eines Romans verraten. Stolz hält er Auster ein „Anagramm“ vor die Nase, als würde der ernsthaft auf seine verschlüsselten Codes eingehen.

Nein, Auster entzieht sich geschickt: Trause und Auster hätten vielleicht dieselben Buchstaben, seien aber völlig verschiedene Namen. Will man einen Schriftsteller wirklich nach seinem Leben ausquetschen auf die Gefahr hin, seine Aura verflüchtigt sich? Und ist es nicht schon zutiefst ehrlich, wenn Auster sagt, seine Romane seien eine Art „innere Autobiografie“?

Die Präsenz eines Schriftstellers zu atmen ist schön. Wer einem Menschen aber zwanghaft persönlich näher kommen will, wird über die Brücke zwischen ihm und seinem Werk nie etwas erfahren.