: Schnell und bunt nach Polen
Medienwelten: Springer will den Auslandsumsatz verdoppeln und deshalb den polnischen Boulevard erobern. Der funktioniert allerdings anders als „Bild“: Blut und Sperma sind dort nicht so angesagt
von RICHARD HEIMANN
Zwölf Jahre haben vergehen müssen, bis der Springer Verlag wieder einen Versuch unternimmt, ein Boulevardblatt im Ausland auf die Beine zu stellen. Claro, eine spanische Kopie von Bild, scheiterte 1991. Nach vier Monaten war Schluss, 160 Millionen Mark waren vernichtet. Die spanische Lektion war so nachhaltig, dass Springer anschließend ein ähnliches Projekt in Italien begrub.
Aber jetzt ist es wieder so weit. Der Verlag will die Polen mit Geschmacklosem beglücken und wird wohl noch in diesem Jahr mit einem Boulevardblatt an der Weichsel starten. Die Nullnummer ist für den 1. Juli geplant. Das Vorhaben entspricht durchaus dem Ukas von Vorstandschef Döpfner, wonach der Verlag den Auslandsumsatz von derzeit 17 Prozent zu erhöhen hat. Andreas Wiele, der für das Auslandsgeschäft zuständige Vorstand, erklärte jüngst in Polen, man verspreche sich durch das neue Boulevardblatt eine Verdoppelung des Umsatzes in Polen. Dieser lag im vergangenen Jahr bei rund 60 Millionen Euro. Alleine die polnische Ausgabe von Newsweek, für die Springer von den Amerikanern eine zeitlich unbegrenzte Lizenz erworben hatte, brachte 2002 in Polen eine Umsatzsteigerung von 25 Prozent. Laut Wiele soll das Auslandsgeschäft insgesamt künftig 30 Prozent im Konzernumsatz ausmachen.
Zwar ist auch der polnische Anzeigenmarkt in der Krise, und fast alle Tageszeitungen haben im letzten Jahr an Auflage verloren, aber auf dem Boulevard gibt es noch Potenzial. Dort tummelt sich bisher nur der zur Hälfte dem schwedischen Bonnier-Verlag gehörende Super Express, mit 300.000 Auflage immer noch das zweitgrößte Blatt des Landes. Allerdings ist die Auflage seit Jahren rückläufig. Super Express reagierte 2002 mit einer Blattreform: mehr Hintergrund, mehr Service, weniger Nachrichtenhäppchen. Klatsch über Prominente fand ohnehin kaum statt. Ein bisschen Sex hier, ein bisschen Crime da – aber immer in engen Grenzen. Gesellschaftspolitische Themen wurden schon mal differenziert dargestellt. Harten Boulevardjournalismus ist man in Polen nicht gewöhnt und nackte Frauen auf der Seite eins wären ein Medienskandal erster Güte.
Doch nachdem Springer vor einigen Monaten begonnen hatte, Express-Mitarbeiter abzuwerben, und erste Gerüchte über eine unliebsame neue Konkurrenz aufkamen, verschärfte sich der Ton. Super Express stellte einen ehemaligen Springer-Getreuen als Chefredakteur ein, und dessen Handschrift wird nun immer mehr erkennbar: Man analysiert die Fettpolster des Staatspräsidenten und verhöhnt Politiker.
Aber wird sich ein deutscher Verlag trauen, die politische Klasse Polens nach Bild-Art aufzumischen? Marktbeobachter gehen davon aus, dass Springer nicht den Fehler macht, Bild einfach zu kopieren, sondern eher zunächst austesten wird, wie weit man gehen kann. „Es soll eine schnelle, bunte Tageszeitung sein“, sagt Wiesław Podkański, Springer-Chef in Warschau.
Auch Newsweek Polska ist ein schnelles, buntes Magazin geworden, das schon mal über Politiker kritisch berichtet. Analytische, mit Edelfeder geschriebene Texte fehlen jedoch. Als Newsweek im September 2001 auf den Markt kam, schoss die Auflage der ersten Ausgaben in unerwartete Höhen. Das war der 11/09-Effekt, bei dem das Blatt seine Verbindungen in die USA ausspielen konnte. Inzwischen ist die Auflage auf das Maß der beiden anderen Magazine Wprost und Polityka gesunken.
Dass Springer auch im polnischen Tageszeitungsgeschäft mit von der Partie sein will, war seit langem bekannt. Die Frage war nur: Bild oder Die Welt? Seitdem aber klar ist, dass der norwegische Orkla-Verlag seinen Anteil an der hoch angesehenen liberal-konservativen Rzeczpospolita nicht verkauft, dürfte die Entscheidung auf die Bild-Lösung zugelaufen sein. Rzeczpospolita konkurriert ohnehin mit Adam Michniks Gazeta Wyborcza, die mit 430.000 Auflage und 40 Prozent Anteil am Anzeigenkuchen für Tageszeitungen viel schwerer anzugreifen ist. Dennoch fühlt sich Gazetas Verlag, Agora, bedroht und kündigt jetzt an, schon im Spätsommer mit einem eigenen Boulvardblatt den Deutschen zuvorzukommen. Pikanterweise war es Springers Newsweek, die diese Nachricht als Erster hatte.