: Das Holz in den Wellen
Cannes Cannes (3): In einem filmischen Selbstporträt denkt der iranische Regisseur Abbas Kiarostami über die Vorteile der Digitalvideokamera nach, mit der auch sein neuer Spielfilm „Five“ entstand
VON CRISTINA NORD
Der iranische Regisseur Abbas Kiarostami gibt nicht gern Interviews. Dem Problem, Journalisten nicht zu mögen und dennoch die eigene Arbeitsweise öffentlich erläutern zu wollen, ist er begegnet, indem er ein filmisches Werkstattgespräch gedreht hat: „Ten on Ten“, in Cannes in der Sektion „Un certain regard“ zu sehen. Der Begriff Gespräch führt in die Irre, denn der Film ist eher ein Monolog, auch wenn man im logischerweise unsichtbaren Kameramann ein Gegenüber vermuten möchte. Kiarostami setzt sich wie die Protagonistin von „Ten“ in ein Auto. Diesmal geht es jedoch nicht durch den Teheraner Verkehr, sondern über die Hügel am Rand der Stadt. Eloquent reflektiert der Filmemacher dabei die Vorteile der DV-Kamera, die Arbeit mit Laiendarstellern und die Entwicklung der passenden Dialoge.
Etwas lästig an „Ten on Ten“ ist die englische Synchronstimme, weil sie einem Lehrfilm über die Funktionsweise und die Gefahren von Staudämmen entlehnt sein könnte. Etwas lästig ist auch Kiarostamis pauschale Verurteilung des amerikanischen Kinos. Wenn er über das Übermaß an Musik, an Effekten und an Plotwendungen räsoniert, stimmt man ihm gern zu, solange man an den zweiten und den dritten Teil von „Matrix“ denkt. Dass es auch in den USA ein unabhängiges und aufregendes Kino gibt, erwähnt Kiarostami mit keinem Wort. Möglicherweise trifft sich dabei sein Hochmut mit dem Hollywoods. Dennoch ist „Ten on Ten“ nicht zuletzt wegen der Eloge auf das Auto als Schauplatz und Handlungsort ein schöner Film über das Filmemachen. Kiarostami bleibt noch ein paar Tage in Cannes: Am Samstag wird außer Konkurrenz sein neuer Spielfilm „Five“ gezeigt, der laut Presseheft damit beginnt, dass die DV-Kamera einem Stück Holz dabei zuschaut, wie es von den Wellen an den Strand und wieder ins Meer gespült wird.
Der erste Wettbewerbsbeitrag, Hirokazu Kore-edas „Daremo Shiranai“ („Niemand weiß“), befasst sich mit vier Kindern, die von ihrer Mutter immer wieder für einige Zeit allein gelassen werden. Bis die Mutter – eine kindlich wirkende Frau mit einer merkwürdig hohen und zugleich rauchigen Stimme – ganz verschwindet. Die Kamera konzentriert sich auf die Nahaufnahmen alltäglicher Verrichtungen. Akira, der älteste Sohn, wäscht Kartoffeln, er schneidet Zwiebeln, er zählt das verbleibende Geld, und als den Kindern wegen unbezahlter Rechnungen das Wasser abgestellt wird, trägt er die Eimer zum Brunnen im Park. Dem Fluss des Alltäglichen mischt Hirokazu Kore-eda ein paar dem Neorealismus abgeschaute Wendungen bei: So gibt es falsche Freunde, die Akira zum Diebstahl anspornen; einmal prostituiert sich ein Schulmädchen, und am Ende wird ein aufdringlicher Song eingespielt, um Yuki, die Jüngste, auf ihrer letzten Reise zu begleiten. Doch da „Daremo Shiranai“ diese Wendungen in wiederkehrenden Bildern desselben Supermarkts, derselben Treppen, derselben Füße, die in dieselben Schuhe schlüpfen, auflöst, verlieren sie ihr sentimentales Gewicht.