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Archiv-Artikel

Das Britney-Produkt

Je näher man ihr kommt, desto ferner blickt sie zurück: Der Auftritt am Samstag in der Color Line Arena klärte nicht die Frage, ob es Britney Spears überhaupt gibt. Und dass, obwohl sie dem Publikum sogar ihre erigierten Nippel zeigte

von Volker Peschel

Am Merchandising-Stand im Innenraum der Color Line Arena gibt es eine „Pink Cord Cap“ für 30 Euro zu erwerben. Doch die gehen nicht so gut, weil ein Blick ins Rund der mäßig vollen Halle zeigt: Die haben alle schon. „Keine 10 Euro bei H&M“, klärt eine vielleicht 16-Jährige ihre noch nicht ausgestattete Freundin auf. „Echt? Hol ich mir auch!“

Der amerikanische Popstar Britney Spears, 22, ist in Hamburg – nach langer Bühnenabstinenz, ein paar Sexskandälchen und mit dem neuen Album In The Zone, das die Heldin der Kinderzimmer in ältere Gefilde hinüberretten soll. Letzteres wird schwierig, das Publikum ist jung, man trägt „Miss Sixty“-Jeans mit preiswerten, frechen Gürteln. „Your The Best“ hat ein sehr junges Mädchen schön falsch auf ihr T-Shirt geschrieben, aber hey, wer möchte heute den Oberlehrer spielen.

Auf einer Bühnenleinwand läuft vorab Werbung, ein Rasierklingen-Hersteller erklärt, dass sich Mädchen ihre Beine am besten mit dem Produkt „Venus“ rasieren sollten. Gebannt lauschen ebendiese, die sich etwa den Plastiktritt „Rubbermaid“ mitgebracht haben, um überhaupt etwas sehen zu können. Die Mutter steht direkt daneben.

Dann geht es los, ein 18-Jähriger in winterlicher Armyjacke kippt pünktlich zu den ersten Tönen um. Der Vorhang fällt, ein dicker Concierge wie aus einer Moulin Rouge-Parodie begrüßt das Publikum im „Onyx Hotel“, dem Motto und Namen der Tournee. Die Band spielt auf, Tänzer ziehen Britney Spears zum Song „Toxic“ auf die Bühne: Sie steht auf einer überdimensionalen Fahrstuhlkabine im schwarzen Catsuit mit silbernen Applikationen, schwarzen Stiefeln und gewaltigem Ausschnitt. Ein Ventilator lässt ihre langen blonden Haare wehen. Gut gebaute Kofferboys tanzen in der Lobby um sie herum, Zimmermädchen in Strapsen toben.

„Thank youuuu!“, flötet sie nach den ersten Liedern. Alles kreischt. Dann läuft das hochprofessionelle Programm nach gleichem Schema weiter. Immer ein paar Songs, dann etwas umständliche Umkleidepausen, in denen Kurzfilme auf eine neue Attraktion vorbereiten. So folgt jetzt die „Mystic Lounge“: Britney schreitet in altrosafarbenem Negligé eine der Bühnentreppen hinab in eine etwas verruchte Szenerie. „Ooops, I did it again“, singt sie, allerdings in einer smart arrangieren Swingversion, schwingt dazu am Bühnenrand das Becken. „Shake your ass!“, ruft ein 15Jähriger und man sieht ihm an, dass er dafür seinen ganzen Mut zusammengenommen hat.

Mehr Aufzüge werden folgen: In einem hellblauen Fetzenkleid mit ordentlich Wumms wird sie engelsgleich auf einer Schaukel in die Höhe gezogen. Dann kommt die lustige Britney in Baggyhosen. Street life. Und als Höhepunkt ein sündiges Dessous-Geräkel in großen Betten, inmitten dessen sie verkündet, dass das Leben schön sei.

Sehr viel Aufwand hat Britney Spears betrieben. Das war zu erwarten, alles stimmte, die Musiker, die Choreographie, ausreichend Spaß hatte sicherlich auch das etwas emotionslose Publikum. Doch was auffällt an diesem Abend ist, dass all der Budenzauber ohne die Seele der Hausherrin auskommt. Eineinhalb Stunden hat man schließlich mit einer Britney in Unterwäsche verbracht, dabei bis auf kleinste Ausnahmen ihren kompletten Körper bestaunen können. Doch eine Frage bleibt völlig unbeantwortet: Was für ein Mensch ist Britney Spears? Was geht in ihr vor, was empfindet sie auf der Bühne?

Gegen Ende der Show kippt sie einen Becher von ihrem Wasser in die verschwitzten ersten Reihen, die sich jetzt wahrscheinlich nicht mehr waschen. Herzhaft muss sie loslachen bei dieser kleinen Nummer, reißt den Mund auf, strahlt mit den perfekten Zähnen. Doch dann fällt auf: Kein Ton entweicht ihr dabei. Obwohl sie den kleinen Mikroknopf an einem Headset direkt vor diesem scheinbar lauthals lachenden Rachen hängen hat. Doch das Mikro petzt: Kein Ton, keine Emotion, alles nur Pose. Aufdringliche körperliche Offenheit trifft auf unerklärliche persönliche Verschlossenheit. Man will sie schütteln und fordern: Lach doch mal, schrei rum, schlag alles kaputt, egal, doch tu was, das beweist, dass es Britney Spears wirklich gibt. Dass die Bühne mehr ist als eine große Videoleinwand.

Selbst ein Blick aus der ersten Reihe bringt keine Nähe zu ihr. Seltsam, einen Menschen so überhaupt nicht zu kennen, der gerade noch die erigierten Nippel vor deinem Gesicht geschüttelt hat. Britney, wer bist du???