: Das ist alles ganz normal
Klaus Wowereit hat als erster Regierender Bürgermeister den CSD eröffnet. Er winkt und tanzt hoch auf dem Regenbogen-Wagen, fordert ein Adoptivrecht für Homosexuelle und mehr Stimmung
von MAXIMILIAN HÄGLER
Anfangs haben sie ihn gar nicht bemerkt, so unscheinbar steht er auf dem Sattelschlepper der Berliner Aids-Hilfe. Als der Truck schon fast vorbeigefahren ist, erblickt Frau Schumacher den Regierenden Bürgermeister auf dem Anhänger: „Ui, der Wowi!“ Erstaunt und auch etwas stolz zeigt sie auf den Mann, der da neben Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer steht. Jetzt hat auch Herr Schumacher das Stadtoberhaupt entdeckt und zückt die Kleinbildkamera. „Eher zufällig“ ist der etwa fünfzigjährige Verwaltungsangestellte mit seiner Frau zum CSD gekommen. Der Bürgermeister sei „in Ordnung“. Und dass er beim Umzug der Homosexuellen dabei ist? „Wenn es ihm gefällt.“
Und „Wowi“, wie ihn hier alle nennen, scheint es zu gefallen beim 25. Berliner Christopher Street Day. Erst mal wurde die Demonstration der Homsexuellen von einem Regierenden Bürgemeister eröffnet. Mit einem Lachen posiert er für ein Foto – im Arm eine Frau mit Nilpferd-Kostüm und einem zu groß geratenes Kondom auf dem Kopf. Klaus Wowereit ist Teil der „Community“. Gut zwei Jahre sind vergangen, seit der SPD-Politiker die Republik in Aufruhr versetzt hat mit seinem Bekenntnis: „Ich bin schwul, und das ist gut so.“
Inmitten von Gogo-Tänzerinnen und Jungs mit Police-Officer-Uniformen und Mars-Männchen-Antennen scheint es ihm jedenfalls nicht schlecht zu gehen. Irgendwann entledigt er sich mit einem schüchternen Lächeln seines schwarz glänzenden Unterhemds. Die Menge johlt, und Wowereit zieht schnell wieder sein weißes Oberhemd über. Bei „Get Down on It“ beginnt er zu schunkeln. Als der Discjockey dann die Community-Hymne „YMCA“ auflegt, singt der Regiernde leise mit, selbst die Personenschützer wippen im Takt.
Doch nicht immer wird der stets fröhlich winkende Wowereit bejubelt. An der Gedächtniskirche etwa schauen die Menschen verschüchtert zur Seite, als sie ihren Bürgermeister auf dem regenbogenfarbenen Wagen sehen. Aber irgendwie scheinen sie doch stolz zu sein, auf ihren Bürgermeister, der da ganz normal bei den Schwulen mitfährt. Später rollt Wowereit an einem lächelnden Verkehrspolizisten vorbei. Kaum schaut der Regierende in seine Richtung, nimmt der Beamte Haltung an und kontrolliert wieder mit ernster Miene die Straßenkreuzung. Aber die meisten freuen sich offen, über ihren „Wowi“. „Da ist er ja!“ oder „Look, that’s the mayor“ – das ist der Bürgermeister – ist zu hören, gerade auch von Passanten, die augenscheinlich nicht Teil der CSD-Bewegung sind.
Und wenn das Volk mal nicht so lustig ist, wie es sich Wowereit wünscht, dann mischt er selber mit. Am Nollendorfplatz etwa beugt er sich aus dem Wagen klatscht im Rhythmus der Musik und ruft in die lahme Menge: „Stimmung!“ Alice Schwarzer, die überhaupt gar nicht mehr loszukommen scheint von Wowereit und schon mal ihren Taschenspiegel zückt, um ihr Make-up zu richten, freut sich über ihren stets lächelnden Wagengenossen: „Er ist so lebensfroh, selbstverständlich und unprätentiös.“
Auch später an der Siegessäule ist alles ganz normal. Vielleicht sind die Jungs hinter den Catering-Ständen ein klein bisschen freundlicher als bei anderen Veranstaltungen, wer weiß. Aber eigentlich bekommt man im Backstage-Bereich nicht mehr viel mit vom schwulen oder lesbischen Feiern. Alles schaut so aus wie bei allen Großveranstaltungen, dort ein Redbull-Kühlschrank, hier die Heineken-Bar und natürlich hat die vielleicht notwendige, aber dennoch schnöde Vermarktung auch die Bühne erreicht. Da prangt das MTV-Logo neben dem Banner des bürgerlichen TV Berlin. Die Grüne Claudia Roth freut sich über so was: „Es ist jetzt normal: Proud to be gay.“
Als Wowereit anfängt zu reden, mischt sich der Vorzeigeschwule mit dem Großstadtpolitiker: Erst Poesie: „Seid ihr gut drauf? So soll es sein.“ Dann Politik: „Schwule und Lesben brauchen das uneingeschränkte Adoptivrecht.“ Und schließlich die bürgermeisterliche Erkenntnis: „Das hier ist nicht nur eine Zielgruppenveranstaltung, sondern eine Volksbewegung.“ Und worüber darf man dann noch staunen beim CSD? Vielleicht, dass Alice Schwarzer Autogrammkarten in ihrer Handtasche hat? Wahrscheinlich ist auch das normal geworden. Zum Glück.