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Archiv-Artikel

Neuer Krieg um die Kontrolle des Ostkongo

Die schwersten Kämpfe seit Einsetzung der Allparteienregierung fordern in der Stadt Bukavu zahlreiche Tote.UN-Blauhelme greifen aktiv ein – gegen die Ethnie der Banyamulenge, deren Führer vor einem „Völkermord“ warnen

BERLIN taz ■ Ein neuer Krieg um die Kontrolle des Ostens der Demokratischen Republik Kongo hat begonnen – mit unabsehbaren Konsequenzen für die Stabilität der Region. Nach mehrtägigen Kämpfen im ostkongolesischen Bukavu, die unterschiedlichen Berichten zufolge 14 bis 100 Tote forderten, befanden sich gestern meuternde Soldaten im Anmarsch auf den Flughafen der 500.000 Einwohner zählenden Hauptstadt der Provinz Südkivu. Die UN-Mission brachte Soldaten und Kampfhubschrauber gegen sie in Stellung. Mehrere tausend Menschen flohen nach Ruanda.

Es sind die schwersten Gefechte im Kongo seit Einsetzung der Allparteienregierung im vergangenen Sommer, und es ist das erste Mal, dass die UN-Blauhelmmission im Land direkt eingreift. Ihr Eingreifen ist problematisch: Die meisten Toten und Flüchtlinge in Bukavu gehören zur Ethnie der Banyamulenge-Tutsi, deren Führer seit Monaten warnen, Milizen anderer Ethnien bereiteten einen „Völkermord“ gegen sie vor. Die Blauhelme jedoch unterstützen Kräfte, die gegen meuternde Banyamulenge-Soldaten kämpfen.

Hintergrund ist, dass in Kongos Friedensprozess, der letztes Jahr nach fünf Jahren Krieg die ostkongolesischen RCD-Rebellen (Kongolesische Sammlung für Demokratie) in die Regierung des Landes einband, die Provinz Südkivu der bisher dort herrschenden RCD entzogen wurde. Die RCD-Führung war damit zufrieden – es war ein Teil des Preises für ihre Regierungsbeteiligung. Manche RCD-Militärführer im Ostkongo jedoch waren nicht einverstanden, vor allem jene aus der ruandischstämmigen Minderheit, zu der die Banyamulenge zählen. Während in Südkivu nacheinander alle Führungsposten mit Getreuen der Regierung besetzt wurden, spaltete sich die RCD-Armee der Provinz. Manche machen den Friedensprozess mit und sind jetzt offiziell Regierungstruppen; andere, hauptsächlich die Soldaten der Banyamulenge, finden sich im Abseits wieder und konstituieren sich als neue Rebellion. Ihr Führer ist der ehemalige stellvertretende Militärkommandant Jules Mutebuzi. Seit ersten Gefechten im Februar trennen UN-Truppen in Bukavu die rivalisierenden Teile der Armee.

Die neuen Kämpfe brachen am letzten Mittwoch aus – am Tag der Amtseinführung der neuen Provinzgouverneure in ganz Kongo. Nach UN-Angaben versuchten Mutebuzis Banyamulenge-Soldaten in Bukavu am Abend, über die nahe Grenze nach Ruanda zu ziehen, und wurden von den „Regierungstruppen“ aufgehalten. Es kam zu Kämpfen und Angriffen auch auf Banyamulenge-Zivilisten. Von diesen flohen bis zum Wochenende 2.000 bis 3.000 nach Ruanda, einige von ihnen mit Schussverletzungen, während Regierungstruppen die Kontrolle über die von Mutebuzi gehaltenen Stadtteile übernahmen.

Die UN-Blauhelme halfen ihnen. Jan Isberg, der norwegische Kommandant der in Bukavu stationierten „Kivu-Brigade“, stellte Mutebuzi ein Ultimatum, bis Samstag seine Kämpfer zurück in die Kasernen zu beordern, und ließ dessen Stellungen aus Hubschraubern beschießen. Schließlich gab Mutebuzi nach. Aber während sich die Lage in der Provinzhauptstadt beruhigte, eskalierten die Kämpfe außerhalb. 60 Kilometer nördlich von Bukavu tauchte eine 1.000 Mann starke Einheit weiterer meuternder Soldaten unter Kommando eines anderen abtrünnigen RCD-Generals auf und stand am Sonntag 10 Kilometer vom Flughafen entfernt. 100 Kilometer südlich von Bukavu wurde ein UN-Militärbeobachter unter ungeklärten Umständen getötet.

Die Parteinahme der UN-Truppen erklärt sich daraus, dass sie die Institutionen des Friedensprozesses gegen dessen Gegner schützen will. Aber was sich in Bukavu „Regierungstruppen“ nennt, ist lediglich eine Koalition jener bewaffneten Kräfte, deren Führer in der Allparteienregierung sitzen, und begeht nun auch ethnische Morde. Mehrere Quellen berichten übereinstimmend, auch ruandische Hutu-Milizen seien auf Seiten der „Regierungstruppen“ aktiv. In diesem Falle wäre das Vorgehen der UN-Truppen noch problematischer. Die UN-Mission bestätigte, sie habe Berichte über „Ausschreitungen“ gegen Banyamulenge, und versprach eine Untersuchung.

DOMINIC JOHNSON

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