: Angenehme Zeitreise ins Jahr 2006
Auf ihrem Parteitag bestärken sich die Liberalen in dem Gefühl, eigentlich seien die nächsten Wahlen schon gewonnen und die FDP in der Regierung. Statt über Gesundheit oder Bürgerrechte zu streiten, diskutiert man lieber die Frage: Wer wird Minister?
AUS DRESDEN ULRIKE HERRMANN
Über dem FDP-Parteitag am Wochenende schwebte stets die Frage: Und – was ist die Nachricht? Vorstandswahlen gab es keine und die Europawahl am nächsten Sonntag ließ sowieso keine Debatten zu. Gleich zu Beginn meldete sich daher einer der großen alten Herren der FDP zu Wort: Der Linksliberale Burkhard Hirsch mahnte, Parteitage nie wieder mit Wahlen zu verbinden. Er wolle „keine politischen Feldgottesdienste“ erleben.
Aus Angst vor den Wahlen war auch lange umstritten, ob man sich zu einem eigenen Gesundheitsreformkonzept durchringen soll. Hinter den Kulissen riet Generalsekretärin Cornelia Pieper ab: Sie fürchtete, dass es bei den Wahlen im Osten schadet, wenn die FDP die komplette Privatisierung der Krankenkassen fordert. Doch der Landesverband NRW setzte das Thema durch, der ebenfalls Kommunalwahlen zu überstehen hat und noch nach einer Botschaft sucht.
Nur die Jungen Liberalen hielten sich nicht an den Wir-loben-uns-alle-Kurs. Sie beklagten auf dem Podium, was viele Delegierte nur in den Pausen monierten: die „Ein-Mann-Show“ von Parteichef Guido Westerwelle, der sich ständig zu allen Themen äußere. „Da kann man nicht glaubwürdig sein“, findet Nachwuchs-Vize Marcel Klinge. Das sei aber „keine Kritik an Guido“, beeilt er sich hinzuzufügen, sondern an der „Einseitigkeit des Präsidiums“, das sich nur bei Steuerkonzepten auskenne. „Rexrodt, Pinkwart und Brüderle wollen doch alle Wirtschaftsminister werden.“
Überhaupt machte der Parteitag oft den Eindruck, sich auf einer Zeitreise ins Jahr 2006 zu befinden und bereits um die Verteilung von Regierungsämtern zu streiten. Wer, zum Beispiel, wird Außenminister? Westerwelle oder Fraktionschef Wolfgang Gerhardt? Das Votum der Delegierten fiel nach den Reden deutlich aus: Gerhardt siegte nach Ovationspunkten. Doch Westerwelle revanchierte sich, indem er eilends vor den Medien klarstellte, wo die Prioritäten liegen: „Standbein der Liberalen wird die Wirtschaftspolitik bleiben.“
Dieser Satz stutzte auch die Bürgerrechtler zurecht, die eigentlich hoffen, ihr Randdasein könnte endlich enden, das sie seit langem führen. Erfreut registrierten sie, dass Westerwelle die Union davor warnte, einen neuen Antrag zur Sicherheitsverwahrung von möglichen Terroristen einzubringen. „Die Union kann nicht auf unsere Stimmen zählen“, kündigte er an. Natürlich wissen aber auch die liberalen Bürgerrechtler, dass Westerwelles Schwenk taktisch ist. Er hofft, die Grünen in der Wählergunst zu beerben. „Das darf keine Eintagsfliege bleiben“, mahnt daher Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und erwartet „Lernprozesse“ bei ihrem Vorsitzenden.
Stichwort Lernprozess: Westerwelle ist inzwischen geübt darin, die „schweren Zeiten mit tragischen Augenblicken“ anzusprechen. Genau vor einem Jahr kam Parteivize Jürgen W. Möllemann ums Leben, der zuvor antiisraelische Flugblätter verteilt und illegal finanziert hatte. Doch nun lobte auch Westerwelle „sein Engagement für die liberale Sache“. Möllemann-Freund Wolfgang Kubicki war zufrieden, „dass man sich sehr anständig von ihm verabschiedet hat“.
Nur einmal brach die Regie zusammen – beim Thema Parteifinanzen. Die Bundes-FDP hat mehr als 13 Millionen Euro Schulden und steht knapp vor dem Bankrott. Was die Parteispitze besonders ärgert: Jährlich entgehen der FDP 1,2 Millionen Euro an Staatszuschüssen, weil die Eigenmittel fehlen. Spenden und Beiträge müssen mindestens 50 Prozent des Parteihaushalts ausmachen. Also sollte sich die Abgabe der Kreisverbände an die Bundespartei auf 2,20 Euro pro Mitglied verdoppeln. Westerwelle trat sogar selbst ans Rednerpult, doch die Basis blieb hart; auch ein Kompromissantrag verfehlte knapp die nötige [2]/3-Mehrheit. „Irgendwo mussten wir doch Dampf ablassen“, kommentierten Delegierte hinterher.
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