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Archiv-Artikel

Labor der Weltbank

VON DOMINIC JOHNSON

Für die Einheimischen ist es die Hölle, für die ausländischen Experten ein Paradies. Kaum ein Land der Welt ist so tief gesunken wie die Demokratische Republik Kongo nach Jahrzehnten von Diktatur, Ausplünderung und Krieg. Und nirgendwo haben die internationalen Finanzinstitutionen so große Macht. Heute, da im Kongo offiziell Frieden herrscht, ist das Land ein wirtschaftspolitisches Labor der Bretton-Woods-Institutionen.

Die Bedürfnisse sind enorm. Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen der 52 Millionen Kongolesen lag 2002, im Jahr der letzten verfügbaren Statistiken, bei knapp 73 Dollar – das sind 20 Cent pro Tag, ein Fünftel dessen, was international als Grenzwert der absoluten Armut gilt. 22 Prozent der Männer und 44 Prozent der Frauen haben überhaupt kein Einkommen. Nur 3 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung haben einen bezahlten Arbeitsplatz. Der Kongo hat den höchsten Anteil unterernährter Menschen an der Bevölkerung auf der Welt außerhalb von Somalia. Mit 4 Prozent Wachstum pro Jahr, hat die Weltbank ausgerechnet, würde das Land 200 Jahre brauchen, um das Wohlstandsniveau von 1960 wieder zu erreichen.

Die Finanzen der Regierung sind lächerlich gering. Der Staatshaushalt für 2004 beträgt 482.825 Milliarden kongolesische Franc, umgerechnet knapp 1 Milliarde Euro. Ein Drittel fließt in Gehälter für die schätzungsweise 630.000 Staatsbediensteten, über ein Fünftel in den Auslandsschuldendienst. Nur 4 Prozent gehen aus der Hauptstadt Kinshasa hinaus in die Provinzen; die ehemaligen Rebellengebiete im Osten werden überhaupt nicht berücksichtigt. Dies ist kein Haushalt für Wiederaufbau und Armutsbekämpfung – die offiziellen Prioritäten der Allparteienregierung, die den Kongo seit Sommer 2003 regiert.

Auf den ersten Blick ist das verblüffend, denn an Geld mangelt es nicht. Seit dem Friedensvertrag von 2002 flutet Hilfe in den Kongo. Eine internationale Geberkonferenz in Paris im Dezember 2003 ergab Zusagen von 3,9 Milliarden Dollar, davon 1,09 Milliarden für das Jahr 2004 – fast so viel wie der gesamte Staatshaushalt. Größter Geber sind die USA, dahinter folgen Belgien, die Niederlande und Großbritannien; Deutschland liegt weit abgeschlagen noch hinter China.

Agenturen an der Macht

Aber das meiste davon fließt nicht an die Regierung. Wiederaufbau und Armutsbekämpfung sind Sache spezieller Agenturen, die nominell dem Finanzministerium unterstehen, tatsächlich aber unter Ägide der Weltbank operieren. Das „Bureau Central de Coordination“ (BCECO) ist zuständig für die Sozialprojekte, das „Bureau de Coordination des Marchés d’Infrastructure“ (BCMI) für die Infrastrukturprojekte. BCECO steht unter Leitung des Belgiers Tony Reekmans, der die Institution kürzlich in einem Vortrag als „Ergebnis des Misstrauens gegen die kongolesische öffentliche Verwaltung“ darstellte. BCMI ist eine Filiale des US-Unternehmens Louis Berger, weltweit in Großprojekten des Straßenbaus von Brasilien bis Afghanistan tätig; es soll vor allem Kongos Überlandstraßen instand setzen.

Kongos Regierung hat keinen Einfluss auf die Entscheidungen dieser beiden Agenturen, wie überhaupt auf sämtliche wirtschaftlichen Rahmenprogramme für den Kongo, die von den Gebern finanziert werden. Denn sie alle wurden vor dem Friedensvertrag von 2002 zwischen Weltbank, IWF und der damaligen Kriegsregierung von Präsident Joseph Kabila ausgearbeitet.

Größtes dieser Rahmenprogramme ist das „Multisektorielle Notprogramm für Wiederaufbau und Rehabilitation“ (PMURR) vom Juli 2002, damals mit 1,755 Milliarden Dollar angelegt und heute wegen der Einbeziehung der ehemaligen Rebellengebiete auf 2,5 Milliarden erweitert. Das Programmdokument belegt die Zuschauerrolle der Regierung: „Das Finanzministerium wird alle wichtigen Verträge unterzeichnen, wenn kein Einspruch von der Weltbank eingeht“, heißt es darin. „Zwei hochrangige internationale Berater werden dem Minister helfen. Sie werden im Regierungsauftrag den gesamten Bereich von Ausschreibung und Management überwachen.“

Daneben nimmt das Land auch am internationalen Schuldenerlassprogramm HIPC teil: Ein großer Teil der Auslandsschulden – insgesamt rund 12 Milliarden Dollar – wird abgeschrieben, und der eingesparte Schuldendienst fließt als Entwicklungshilfe in Armutsbekämpfungsprogramme. Auch hier ist der Kongo ein Sonderfall. 90 Prozent der Mittel wandern nicht in den Staatshaushalt, sondern in Sonderetats der Zentralbank. Diese gibt die dann zweckgebunden in Vereinbarung mit den internationalen Finanzinstitutionen aus.

Straßenbau gegen Armut

Die Entmachtung der Regierung hat einen Grund. In den 80er-Jahren war das damalige Zaire unter Diktator Mobutu das Paradebeispiel für das Scheitern der Bretton-Woods-Institutionen. Kein Land auf der Welt kam damals öfter in den Genuss von Umschuldungen. Aber das Mobutu-System, wonach der Staatshaushalt und alle öffentlichen Unternehmen der Selbstbedienung durch die Elite offen standen, florierte: Mobutus Privatkonten wuchsen parallel zu Zaires Auslandsschulden. Damals hieß es, Zaire habe 2.500 reiche Familien und 25 Millionen Menschen im Elend. Heute im Kongo hat sich die Zahl der Armen verdoppelt, zudem sind sie dreimal ärmer als früher. Und dass die Reichen sich im Laufe der Zeit immer heftiger um ihre immer knapperen Einnahmequellen stritten, trieb das Land in den Bürgerkrieg. Frieden gibt es heute nur, weil alle Kriegstreiber mit Posten ruhig gestellt wurden.

Aus Sicht der Geber kann eine solche Regierung nicht Akteur, sondern lediglich Objekt der Sanierung sein. Seit der Mobutu-Pleite herrscht Konsens im Ausland, dass zumindest Zentralbank und Finanzministerium des Kongo der internationalen Aufsicht bedürfen. „Wir haben in Zaire unsere Lektion gelernt!“, betont Onno Rühl, der ständige Weltbankvertreter in Kinshasa.

Doch manche Punkte der Kritik an den Gebern, aus anderen sehr armen Ländern vertraut, bleiben. Das HIPC-Schuldenerlassprogramm hat Kongos tatsächlichen Schuldendienst nicht verringert, sondern erhöht, denn statt einer viel zu großen Schuld, die gar nicht bedient wird, gibt es jetzt eine kleinere Schuldenlast, die automatisch von den ausgezahlten Hilfen abgezogen wird. Der Begriff „Armutsbekämpfung“ ist problematisch, wenn sowieso fast alle arm sind. Im Kongo zählt der IWF neuerdings sämtliche Straßenbauprojekte und die Reintegration von Bürgerkriegskämpfern dazu und kann stolz berichten, Armutsbekämpfung mache 2004 6,3 Prozent des Bruttosozialprodukts aus gegenüber 1 Prozent 2003.

Bei der Sanierung des Staates ist die Priorität von IWF und Weltbank vor allem Sparen. So war eine Bedingung für die Freigabe eines Weltbankkredits für den Bergbausektor letztes Jahr die Frühverrentung von 10.000 Mitarbeitern des größten staatlichen Bergbaukonzerns Gécamines. Im gesamten Staatsdienst verlangen die Geldgeber jetzt über 70.000 Entlassungen.

Das führt zu Protesten der kongolesischen Bevölkerung, die dies als Widerspruch zur Armutsbekämpfung kritisiert und zugleich grundsätzlichere Strukturreformen vermisst. Die Förderung des Privatsektors ist in den Geberprogrammen nachrangig, die Einbeziehung kongolesischer Organisationen in Entscheidungen gering. Bereits zur Geberkonferenz Ende 2003 kritisierte der CNONGD (Nationalrat der NGOs für Entwicklung) die „austeritätsfixierte“ Politik von IWF und Weltbank, die überdies nichts für den informellen Sektor tue, der 95 Prozent der realen Wirtschaft ausmache. „Alle Vorgaben kommen aus Washington“, ereifert sich CNONGD-Generalsekretär Félicien Malanda. „Die Regierung lädt uns in Hotels ein, damit wir irgendwelchen Strategien zustimmen, aber wir würden gern bei der Ausarbeitung einer Strategie mitmachen. Wir haben schließlich auch Experten.“

Besonders hart kritisiert wird das BCECO, dessen Ausschreibungspraxis als undurchsichtig gilt. Die Agentur hat nicht einmal Büros außerhalb der Hauptstadt. Georges Tshionza vom NGO-Ausbildungsverband Seracob (Unterstützungsdienst für Basisgemeinschaften) meint: „BCECO ist in der Hand einiger internationaler Organisationen, die sich hier niedergelassen haben und die von der Weltbank Aufträge bekommen. Sie haben die Erfahrung und die Kapazitäten, die wir nicht haben, und stellen nur einzelne Kongolesen ein.“

Dominanz der Ausländer

Die Dominanz der Ausländer in Kinshasa ist eklatant. Der Zustrom tausender Berater und Experten, von denen manche im Monat mehr verdienen als ein Großteil der Kongolesen im ganzen Leben, führt zu einem Spekulationsboom im Immobilienmarkt und einem künstlichen wirtschaftlichen Aufschwung. Das sorgt für großem Unmut.

Wie groß, zeigte sich Anfang Juni, als in Kinshasa und anderen größeren Städten Massenproteste gegen die Untätigkeit der UN-Truppen bei neuen Kämpfen im Osten des Landes ausbrachen. Die Demonstrationen richteten sich schnell gegen die ausländische Präsenz im Kongo insgesamt. Ausländische Einrichtungen wurden systematisch angegriffen, zum Teil geplündert und angezündet, einen Nachmittag lang lag Revolution in der Luft. Gegenüber einem Journalisten jubelte ein Anführer plündernder Straßenkinder: „Die Weißen sind weg, die Stadt gehört uns.“