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Archiv-Artikel

Bürokratie gefährdet Selbsthilfe

Seit Jahren macht die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim „soziale Umzüge“. Doch jetzt will das Ordnungsamt dafür eine Extra-Lizenz sehen. Damit droht dem selbstverwalteten Betrieb das Aus

Von Susanne Gannott

„Seit 25 Jahren fahren wir Umzüge – meist im Auftrag des Sozialamts“. Dass das auf einmal nicht mehr möglich sein soll, will Rainer Kippe von der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim (SSM) nicht in den Kopf. Aber wenn es nach dem Kölner Ordnungsamt und dessen Leiter Robert Kilp geht, braucht die SSM für ihre Umzüge wie jede ganz normale Spedition eine „Güterkraftverkehrsgenehmigung“. Und nicht nur der selbstverwaltete Betrieb in der Düsseldorfer Straße: Alle sozialen Einrichtungen, die wie Emmaus, De Flo oder Bürger für Obdachlose günstige Umzugsdienste anbieten, müssten eigentlich eine solche Lizenz vorweisen, sagt das Ordnungsamt. Als „Kompromiss“ hat die Verwaltung immerhin angeboten, dass diese Gruppen, die sich zum „Verbund gemeinnütziger Kölner Möbellager e.V.“ zusammengeschlossen haben, nur eine einzige Lizenz für alle brauchen.

Aber die müsse sein, meint Kilp und beruft sich, ganz Verwaltungsfachmann, auf die Gesetzeslage: „Das NRW-Verkehrsministerium sagt, auch soziale Vereine müssen die Genehmigung haben“. Da hat Martin M., langjähriger Unterstützer des SSM und ihr „Rechtsberater ohne Mandat“, seine Zweifel: „Andere Vereine, aber auch die Stadt selbst, haben Gutachten eingeholt, die besagen, dass das Gesetz für soziale Vereine eine Ausnahme vorsieht“. Daher hätten es die Vereine des Möbelverbunds bei einer internen Beratung vor einer guten Woche auch abgelehnt, sich auf den „Lizenzkompromiss“ der Verwaltung einzulassen. „Keiner von uns kann die Konsequenzen tragen, die mit einer solchen Lizenz verbunden sind.“ Denn abgesehen von den Kosten für eine solche Güterkraftverkehrsgenehmigung ist damit auch die Anmeldung als Gewerbe verbunden, erklärt Martin. „Aber als soziale Vereine können und wollen wir uns nicht in eine kommerzielle Spedition verwandeln.“ Dann müsste ein Verein wie die SSM nämlich alle möglichen rechtlichen und steuerlichen Vorgaben erfüllen – und könnte auch die Menschen nicht mehr weiter beschäftigen, die bei der Selbsthilfe ihr Auskommen finden. „Wir arbeiten hier mit Ex-Junkies, Behinderten, Langzeitarbeitslosen und Leuten, die im ‚normalen‘ Arbeitsleben nie bestehen könnten“, erklärt Kippe. „Wie sollen die doppelte Buchführung machen?“

Dass Kilp trotzdem auf der, wie er sagt, „rein straßenverkehrstechnischen Genehmigung“ beharrt, geht offenbar auf das Eingreifen kommerzieller Spediteure zurück, die sich im Jahr 2000 über die unliebsame „Konkurrenz“ beschwerten, die vom Sozialamt Aufträge für die Umzüge von Sozialhilfeempfängern bekommt und die sogar mit finanzieller Hilfe des Sozialamts einen speziellen Umzugslastwagen anschaffen konnte. Seitdem hatten Stadt und Möbelverbund die Angelegenheit jedoch auf unbürokratisch-kölsche Art unter sich ausgehandelt – bis der Fall dieses Frühjahr vom Ordnungsamt wieder „entdeckt“ wurde, weil „der zuständige Mitarbeiter seine Wiedervorlage-Akten durchforstet hat“, sagt Kilp.

Was der Verwaltungsmann gegenüber der taz fast wie einen bürokratischen Betriebsunfall darstellt, der ihn jetzt – leider, leider – zum Handeln zwinge, stellt sich den SSM-Leuten allerdings ganz anders dar. „Uns gegenüber hat Herr Kilp deutlich gemacht, dass er sich als Leiter des Ordnungsamts dazu berufen fühlt, den ‚Wildwuchs‘ der 70er, 80er Jahre mit seinen autonomen Strukturen zu beseitigen“, erinnert sich Martin an das letzte Gespräch im Mai.

Ob sich das Ordnungsamt damit tatsächlich durchsetzt, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Laut Sozialdezernentin Marlis Bredehorst hat zumindest „die Sozialverwaltung kein Interesse daran, den Möbelverbund zu zerschlagen. Die machen ja wertvolle Arbeit, die wir auch finanziell unterstützen.“ Die Einwände von SSM und Möbelverbund gegen den „Lizenzkompromiss“ habe man erst vor ein paar Tagen schriftlich bekommen. „Wir werden ihre Argumente prüfen und versuchen, das stadtintern zur Zufriedenheit aller Beteiligten – Ordnungsamt, Sozialamt und Möbelverbund – zu regeln“.