: „Der Patient muss selbst entscheiden“
Heute präsentiert die Kommission „Ethik in der Medizin“ ihren Bericht zur Selbstbestimmung todkranker Menschen. Marlies Volkmer (SPD) berichtet über die Eindrücke der Abgeordneten auf einer Informationsreise in die Niederlande
taz: Euthanasie auf eigenen Wunsch ist in den Niederlanden seit 2001 erlaubt. Nach einer Studie der niederländischen Regierung soll diese Legalisierung dazu geführt haben, dass rechtswidrig getötet und gemordet wird. Haben Sie diesen Eindruck auch?
Marlies Volkmer: Nein. In den Niederlanden wird verantwortlich im Rahmen des Gesetzes vorgegangen. Aber von Sterbehilfe wird dabei nur gesprochen, wenn ein Arzt lebensbeendende Handlungen auf Verlangen eines Patienten vornimmt. Voraussetzung ist, dass es sich um aussichtslose Fälle oder unerträgliches Leiden handelt.
Wie läuft das ab?
Das ist eine individuelle Entscheidung zwischen dem Patienten, der um Sterbehilfe ersucht, und seinem Hausarzt. Auf jeden Fall muss der Hausarzt einen zweiten Arzt zu Rate ziehen, der nicht mit dem Fall befasst ist.
Wo sehen Sie Risiken für Fehlentscheidungen?
Ich stelle mir die Frage, ob das der Hausarzt allein entscheiden kann. Und ob nicht der zweite Arzt besonders qualifiziert sein müsste.
In Deutschland will das Bundesjustizministerium dem Willen des Patienten mehr Geltung verschaffen. Die Enquetekommission legt heute ihren Zwischenbericht dazu vor. Wie wird das Problem „Tod auf Bestellung“ darin gesehen?
Hier geht es nicht um Tod auf Bestellung. Es um den schriftlich fixierten Willen des Patienten, lebensverlängernde Behandlungen zu beenden. Diskussionen gibt es über die Art und Weise, diesen Willen umzusetzen. Die Mehrheit ist für eine nicht sehr weitreichende Verfügung. Im Falle unheilbarer Krankheiten, wenn der Tod in absehbarer Zeit eintritt, könnte auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet werden. Ich gehöre eher zu denen, die die Patientenverfügung nicht so eng sehen wollen. Der Patient muss verfügen können, dass die Geräte nach einer bestimmten Zeit abgeschaltet werden, wenn er im Wachkoma liegt.
Macht es eine solche Regelung zu leicht, sich kranker Menschen legal zu entledigen – besonders, wenn die Behandlung sehr teuer ist?
Das müsste über die Patientenverfügung gehen.
Und wenn keine vorliegt?
Dann gibt es noch die Vorsorgevollmacht. Man kann jemanden einsetzen, der nach bestem Wissen und Gewissen entscheidet. Eine Ökonomisierung hat bei Fragen von Leben und Tod überhaupt nichts zu suchen.
Aber die Gefahr besteht?
Ich glaube nicht, dass diese Frage in den Niederlanden unter solchen Gesichtspunkten gesehen wird. Da geht es um die Autonomie des Menschen.
In der Studie der niederländischen Regierung heißt es, in 38 Prozent der Fälle seien die Patienten getötet worden, weil die Angehörigen ihren Zustand nicht mehr ertragen konnten.
Ich kenne eine solche Studie nicht. Diese Zahl scheint mir viel zu hoch zu sein.
Warum?
Wir haben mit Patientenvertretern gesprochen, mit der Ärztekammer, mit Ethikern – und mit der Kontrollkommission, der jeder Fall von aktiver Sterbehilfe gemeldet wird. Wir haben auch Hospize besucht. Ich denke, dass die übergroße Mehrheit der Ärzte verantwortungsvoll mit dem gesetzlichen Spielraum umgeht.
Denken Sie, dass das niederländische Modell in Deutschland funktionieren würde?
Nein. In den Niederlanden ist Sterbehilfe seit 30 Jahren ein Thema. 85 Prozent der Einwohner befürworten Euthanasie unter bestimmten Voraussetzungen. In Deutschland wurde lange Zeit über das Thema Sterbehilfe überhaupt nicht gesprochen. Ich denke, wir müssen Schmerzmittelmedizin und Hospizdienst stärken. Wir müssen uns aber auch überlegen, wie wir mit den etwa 5 Prozent der Patienten umgehen, bei denen es trotz aller Schmerzmittel nicht gelingt, Leiden zu lindern.
In diesen Fällen würden Sie dafür plädieren, den Patienten auf Wunsch zu töten?
So nicht! Ein Schritt in diese Richtung wäre, die Unterstützung zur Selbsttötung zu zulassen, wie es in der Schweiz möglich ist. Denn der Schritt, das Leben zu beenden, ist so gravierend, dass man den Patienten davon nicht entbinden kann. Er muss diesen letzten Schritt bewusst tun.
INTERVIEW: ANNA LEHMANN