: Lügenbaron mit Ungemach
Niedersachsen: Ministerpräsident Wulff will 1,9 Milliarden Euro sparen. Die Landesregierung flüchtet vor den Protesten, die Studenten reisen hinterher
Hannover taz ■ Die Minister müssen Ungemach wegen der 700 Studenten gefühlt haben, die gestern um 13 Uhr vor dem Hotel der Kabinettsklausur im Leine-Aller-Tal gegen Hochschul-Kürzungen protestieren wollten. Weil die Regenten kurzum gegen Mittag abreisten, reisten ihnen viele Studis einfach die knapp 50 Kilometer nach Hannover hinterher, um vor dem Landtag Plakate wie „Studierst du noch oder kürzen sie dich schon?“ in den Wind zu halten.
Genutzt hat es wenig: Studenten und Landesbedienstete müssen im kommenden Jahr wohl am meisten unter den Sparvorschlägen des schwarz-gelben Niedersachsen-Kabinetts leiden. Aber sie sind nicht die einzigen.
Angesichts der „dramatischen Finanzlage“ müsse das Land 1,9 Milliarden Euro sparen, sagte Ministerpräsident Christian Wulff (CDU), als er im Landtag den Etat vorstellte, den das Kabinett zwei Tage lang hinter verschlossenen Türen ausgetüftelt hatte. „Schulden sind Lügen, Schulden sind die Steuern von morgen“, so Wulff. Er bekräftigte sein Ziel, die Nettokreditaufnahme 2005 um 350 Millionen auf 2,15 Milliarden Euro zu senken.
Der MP sei ja schlimmer als der „Lügenbaron Münchhausen“, meinte dazu SPD-Fraktionschef Sigmar Gabriel. Wulffs bislang „dreistestes Bubenstück“ sei der finanzpolitische Trick, die Landesanteile an der Nord LB an die Hannoversche Beteiligungsgesellschaft (HanBG) verkaufen zu wollen. Die 450 Millionen Euro dafür muss sich die ebenfalls landeseigene HanBG nämlich durch Kredite besorgen. „Ich würde das nicht als Schattenhaushalt bezeichnen“, sagte Finanzminister Hartmut Möllring (CDU). Tilgung und Zinsen würden über die Dividende der Nord LB wieder hereinkommen.
Echte Kürzungen betreffen die meisten Beamten und neu eingestellten Landesbediensteten, die 2005 kein Weihnachtsgeld mehr bekommen sollen, die Pensionäre, denen die Beihilfen gekürzt werden - und die Studenten, die pro Semester 75 statt 50 Euro Verwaltungskostenbeitrag zahlen müssen. „Vor allem im Bereich Hochschulen“ schloss Wulff betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr aus. Auch wenn das Kabinett am Bestand der Unis im Land vorerst nicht rütteln will, werden im kommenden Jahr keine Großgeräte und Neubauten mehr genehmigt.
Gar nicht mehr genehmigt werden die Zuschüsse für das Städtebauprogramm, die für das nächste Jahr angepeilte Einstellung von 250 neuen Polizeianwärtern oder die Landeszentrale für politische Bildung - sie wird geschlossen. Die Kommunen bekommen 150 Millionen Euro weniger, viele Vereine müssen leiden, weil das Land ihnen 20 Millionen Euro weniger aus der Spielbank- und Konzessionsabgaben übrig läßt. Auch Soziokultur, Theater und Museen werden bluten. Kulturminister Lutz Stratmann (CDU) kündigte eine „totale Umstrukturierung der Kulturförderung“ an.
Bis zur Kabinettssitzung im September sollen die Vorgaben für alle Etats genau durchgerechnet sein. Ab Oktober soll das Parlament den Etat beraten.
Kai Schöneberg