Spannend, nicht tragisch

Castorfs Pressekonferenz: Auflösungen und Abfindungen werden nicht angenommen. Frank Castorf sieht sich weiter als Intendant der Ruhrfestspiele, will gegen die Kündigung klagen und fühlt sich an den Stalinismus erinnert

Erst mal alles tiefer hängen. Keinen Schock, keine Verletzbarkeit zeigen. „Och, na ja, solche Situationen sind mir nicht fremd.“ So begann Frank Castorf am Mittwoch seine Pressekonferenz in der Volksbühne Berlin, um den Akt seiner Kündigung als künstlerischer Leiter der Ruhrfestspiele zu kommentieren. Dachte man und war auf Zorn und Trauer eines missachteten Künstlers eingestellt. Nicht aber darauf, dass der Regisseur Frank Castorf die Kündigung durch den Aufsichtsrat der Ruhrfestspiele wie ein schlechte Inszenierung nicht akzeptieren will. „Ich lasse mich nicht abfinden“, sagte und wies damit nicht nur von sich, seiner vorzeitigen Vertragsauflösung gegen eine Abfindungssumme zuzustimmen, sondern mehr noch, als der alleinige Schuldige für eine Fehlentwicklung dazustehen, der schon lange krumme Weichen gestellt waren.

Die Situation schärft seinen Kampfesmut: „Das Verfahrene ist gut, weil man merkt, dass man um etwas kämpfen muss“, sagte Castorf und mehr solcher Sätze, wie sie auch von seinen Figuren stammen könnten. Als „spannend, aber nicht als tragisch“ beurteilte er die Situation, denn nun gewinnen die Seiten Gesicht.

Vor allem warf er den Gesellschaftern der Ruhrfestspiele vor, sich auf keine Analyse der rückläufigen Publikumszahlen eingelassen zu haben. Die bessere Auslastung des letzten Jahres zum Beispiel sei mit Udo-Lindenberg-Konzerten, Zirkus und anderen Stars erreicht worden, die auch kommerziellen Veranstalter gute Einnahmen versprechen. In einem solchen Programm aber seien in seinen Augen weder die Fördermittel der Ruhrfestspiele gut angelegt, noch brauche man ihn dafür. „Ich habe mich nicht beworben. Man ist zu mir gekommen“, verteidigte er sein Recht auf, nein seine Verpflichtung für einen progammatischen Wechsel. Den habe er nicht nur mit Inszenierungen aus dem Pool seiner Volksbühnen-Mitarbeiter eingeleitet, sondern auch mit vielen internationalen Gastspielen, die als roten Faden einen politischen Kontext von Armut und Arbeitslosigkeit hatten.

Der Intendant gab auch Fehler der Vermittlung zu, „zu viel soziologischer Proseminar-Jargon“, und Fehleinschätzungen über die Vernetzung der Ruhrstädte; aber er verwies auch ausdrücklich auf die Hemmnisse der Vorbereitungszeit, die durch langwierige Vertragsverhandlungen und späte Mittelzusagen mit vielen Unsicherheiten auskommen musste. Viele Vorarbeiten wurden nicht bezahlt.

Jeder Aufbruch braucht Zeit. Dieser Sicht stimmen auch Gérard Mortier zu, auf dessen Vorschlag Castorf geholt wurde, und Michael Vesper, Landeskulturminister in Nordrhein-Westfalen, der gegen die Entlassung stimmte. Auch die RuhrTriennale, deren Reform Mortier vor drei Jahren begann, konnte erst im letzten Jahr Besuchererfolge verzeichnen.

Doch obwohl man Castorf in vielem Recht geben kann, wo er eigene Versäumnisse und die der Gesellschafter sah und wie er sein Konzept verteidigte, es blieb gespenstisch, dass er ganz ohne Konjunktiv von der Zukunft redete: „Nächstes Jahr werden mehr kommen, schon aus sportlichem Interesse.“

Wahrscheinlicher aber ist, dass sich der nächste Akt vor dem Arbeitsgericht abspielt. Denn ebenso entschlossen, wie sich Aufsichtsratmitglied Wolfgang Pantförder, Oberbürgermeister von Recklinghausen, zeigte, sich von Castorf zu trennen, auch wenn es keine einvernehmliche Lösung gebe, ebenso entschlossen ist der Volksbühnenchef, auf der Einhaltung seines vierjährigen Vertrags zu bestehen. Er denkt dabei an arbeitsrechtliche Prozesse, die er schon in der DDR durchstehen musste. Kein Wunder, dass ihn auch das Vorgehen des Aufsichtsrates mit kurzfristig einberufenen Sitzungen an stalinistische Taktiken erinnerte. Und schon reagiert der DGB beleidigt und verlangt Entschuldigungen. Bloß keinen Anlass verpassen, zur Realsatire überzugehen.

KATRIN BETTINA MÜLLER