„Berlin ist eine schöne Leiche“

Luigi Colani

„Diese kleine Berliner Drecksmafia, die mal schnell so vier Milliarden im Dreck versaufen lässt. Das ist erschütternd. Am bedauerlichsten ist, dass kein Schwein darüber spricht“„Was sich diese so genannten Superarchitekten am Potsdamer Platz geleistet haben, ist einer der lächerlichsten Stadtmittelpunkte, die man je konzipiert hat“

Eine riesige Werkhalle, in der Maschinen surren. Ein Mann schraubt an der Zukunft: Luigi (Geburtsname: Lutz) Colani. Meister der runden Form. Erfinder des „Bio-Designs“. Gerade arbeitet er in Karlsruhe in seinem Designcenter an Stromlinien-Lkws. Bekannt ist der Designer unter anderem für seine ergonomischen PC-Mäuse. Am Samstag wurde der gebürtige Berliner 75 Jahre alt. Der Sohn eines Italo-Schweizers und einer Polin startete von Berlin aus seinen Design-Feldzug. Unter anderem arbeitet er in Asien. Beim Berliner Design-Festival kündigte er an, der Stadt eine Sammlung seiner Entwürfe zu schenken – sein Lebenswerk, das er auch mal als „Schrott“ bezeichnet.

Interview SUSANNE LANG

taz: Herr Colani, vielen Dank für Ihr „Schrott“-Angebot. Wie kommt Berlin zu der Ehre?

Luigi Colani: Berlin hat ja kein Highlight außer der Museumsinsel. Die aber kennt schon jeder, der einigermaßen kulturell angehaucht ist. Es wäre gar nicht so schlecht, wenn man wie in den 30er-Jahren, als sich auf dem Ku’damm noch Max Reinhardt, Marlene Dietrich und Albert Einstein trafen, wieder von einem Mythos Berlin sprechen könnte. Dazu müssen wieder Top-Leute aus allen möglichen Bereichen nach Berlin kommen, um diesen schlaffen Laden etwas aufzumöbeln.

Sie sehen sich in dieser Reihe von Dietrich bis Einstein?

Mit Marlene Dietrich würde ich mich nie auf eine Ebene stellen, sie war eine Schauspielerin, die Ihren Job gut gemacht hat. Ich spiele doch in einer etwas anderen Liga, eher in der Nähe Einsteins. Wobei er mit seiner Relativitätstheorie längst widerlegt ist, von einem 27-jährigen Inder. Ich bin noch nicht widerlegt worden.

Was ist Ihre Theorie?

Die Redefinition der Nahtstelle Mensch-Maschine, ihre Humanisierung. Ob ich jetzt mit dem Arsch auf einem Stuhl sitze, auf einer Sitzmaschine, oder einen Türgriff anfasse: es handelt sich immer um Nahtstellen zu einer Maschinerie.

Ist das bereits eine Theorie?

Aber was für eine: Bio-Design. Sie basiert auf sehr ernsten Überlegungen: Ergonomie und Kenntnis neuster Materialien. Ob ich einen Kugelschreiber entwerfe oder ein Hyperschallflugzeug – das sind immer Dinge, die mit dem Menschen in Kontakt treten. In einem Flugzeug reise ich. Wenn es rauscht, wenn es schlecht fliegt, ist das eine nicht korrekte Definition dieser Nahtstelle.

Wo kommt das „Bio“ ins Spiel?

Ich beziehe die Natur in meine Entwicklungen ein. Der Mensch hat ja erst seit 200 Jahren Technik und die Natur löst seit Milliarden Jahren höchst raffiniert Probleme. Eine Larve verpuppt sich und heraus kommt eine Libelle, von der wir uns gar nicht vorstellen können, dass diese schlaffen, wie eine Plastiktüte um den Leib gewickelten Flügel plötzlich steif werden und das Tier surrend davontragen.

Sie haben an der Hochschule für Bildende Kunst in Berlin Bildhauerei studiert, in Paris Aerodynamik. Sind Sie Künstler oder Techniker?

An der Hochschule habe ich ganz schnell festgestellt, dass ich nicht das bekommen konnte, was ich suchte: tiefschürfendere Erkenntnisse über dreidimensionale Gestaltung. Da wurden nur Feten gemacht. Deshalb habe ich mich mit Flugzeug- und Leichtbau beschäftigt. Diese Techniken führten dazu, Design in dem Spannungsfeld zwischen Hochtechnologie und der Nachbildung von Körpern ansiedeln zu können.

Die Kunstakademie hat Ihnen gar nichts gegeben?

Nichts. Ich muss es leider sagen. Ich habe ein Elternhaus gehabt, das mir nie Spielzeug gekauft hat. Mein Kinderimperium, meine Spielsachen, musste ich mir selber zusammenbasteln. Mit fünf war ich schon ein ziemlich guter Bildhauer. Den Dozenten an der Hochschule konnte ich etwas beibringen. Ich sag das gar nicht aus Überheblichkeit, sondern als Faktum. Ich wollte die Muskeln eines Armes erkunden, wollte wie Rodin Bildhauern. Deshalb suchte ich den Weg der höheren Technik.

Woher kommt Ihr Interesse für Technik?

Über mein Kinderzimmerfenster in Johannisthal flogen die wildesten Flugzeugtypen, die haben mich inspiriert.

Hatten Sie gar keine Lehrmeister?

Doch. Professoren an der Sorbonne, Rennwagenbauer oder Konstrukteure in Amerika. Ihr Wissen habe ich Sandkorn für Sandkorn an mich rangetragen und zu einer eigenen Formsprache zu verdichten versucht. Ich bin ein hervorragender Analytiker. Ich beobachte die Natur sehr genau und unterwerfe mich ihren Notwendigkeiten – dieser menschlichen Hand, die Griffe anfasst. Ein ewiger Kampf.

Haben Sie schon einmal verloren?

Man scheitert an so vielen Dingen, die technisch nicht möglich sind. Ich war nach dem Studium bei einem französischen Flugzeugbauer angestellt. Dort sollte ich für Flugzeugfußböden ein Material entwickeln, das den dünnen Damenschuhenabsätzen standhält. Misserfolg. Ich konnte keines finden. Da habe ich Schuhe mit Blockabsatz entwickelt.

Privat lieben Sie es klassisch: In Toulouse leben Sie in einem Schloss. Wie fügt sich das ins Bio-Design?

Wenn jemand weit in die Zukunft forscht, betritt er unglaublich dünnes Eis und riskiert abzusaufen. Er braucht was? Ein Kontergewicht. Wie ein guter Kran. Der hat hinten ein paar Betonbrocken dran, damit er vorne nicht auf die Schnauze kippt. Und der Colani hat als Kontergewicht zu seinem Ultramodernismus die ultraklassische Linie.

Gibt es etwas Modernes in Berlin, das Sie im Design überzeugt?

Nein, nichts. Rien de rien. Was sich diese so genannten Superarchitekten etwa am Potsdamer Platz geleistet haben, ist einer der lächerlichsten Stadtmittelpunkte, die man je konzipiert hat. Die reinste Zirkusarchitektur. Die überdauern auch die nächsten 20 Jahre nicht. Da braucht nur mal ein etwas intelligenterer Bürgermeister gewählt werden, einer, der ein bisschen mehr Dampf in der Kiste hat, sich nicht nur auf Bällen rumtreibt und mit alternden Diven herumsaust. Der wird sich fragen, warum dieser Platz kein Platz mehr ist, sondern nur noch ein Konglomerat von eigensüchtig hingestellten Persönlichkeitsdenkmälern modischer Architekturpfeifen.

Wie sähe der Colani-Platz aus?

Ganz einfach: Den hätte ich Stein für Stein mit allen Seitenstraßen wieder aufgebaut in seiner alten Form als Mahnmal. Er hätte kleine Stände, und ringsherum müsste von viel besseren Architekten noch viel moderner gebaut werden. Darübergewölbt: ein Bogen, der nachts golden angeleuchtet wird.

Sie bauen gerade eine ganz andere Stadt: eine Wissenschaftlerstadt in der Nähe von Schanghai, die der Architektur eines menschlichen Körpers nachgebildet ist. An welchen Körper erinnert Sie Berlin?

Berlin ist eine schöne Leiche.

Hat das Morbide kreative Impulse?

Die Subkulturszene ist ja wunderbar. Es ist auch richtig so, dass in den Hinterhöfen Köpfe sprießen – ich komme ja auch aus einem Berliner Hinterhof. Aber das bringt Berlin nicht wieder nach oben. Es fehlen die Top-Leute. Die kommen aber nicht, weil Berlin ein Saustall ist.

Wie, Saustall?

Ich meine diese Art von Leuten, die an den Hebeln der Macht sitzen, diese kleine Berliner Drecksmafia, die mal schnell so vier Milliarden im Dreck versaufen lässt. Das ist erschütternd. Am bedauerlichsten ist, dass mittlerweile kein Schwein mehr darüber spricht. Das ist das Einzige, was mich abhält, in Berlin vollmundig anzutreten als Berliner, um dort mitzuhelfen. Wenn ich in die Hände dieser Ganoven geriete, da würde ich mit der durchgeladenen Kalaschnikow aussieben.

Haben Sie schon mal etwas bereut, das Sie gesagt haben?

Nein.

Noch nie?

Ich pflege meine Sachen zu sagen, die ich zu sagen habe. Dazu stehe ich.

Die Wortwahl auch nicht?

In manchen Fällen sicher, weil mir sehr oft Jobs durch die Lappen gegangen sind, da ich den Leuten die Wahrheit auf den Kopf zusagte. In einer Welt der Lüge ist es eine höchst gefährliche Sache, die Wahrheit zu sagen.

Gibt es Dinge, die für Sie tabu sind?

Aber was für ein Tabu: Ich bin bei Thyssen gegangen worden, weil ich nicht an Panzern und U-Booten mitarbeiten wollte. Das ist eine ganz klare Linie. Alles andere haben wir schon gemacht.

Sie bezeichnen sich als Formphilosoph. Wie passt das dazu, dass Sie sich in den Dienst eines Produkts begeben?

Was haben denn Kant, Hegel, Marx machen müssen, um philosophieren zu können? Die haben auch ihre Phase der Prostitution gehabt, wo sie irgendwelchen Quatsch geschrieben haben, den sie nicht veröffentlichen wollten. Hier ist Forschung um der Forschung willen kaum möglich. Deshalb habe ich auch dieses Unternehmen gegründet. Wir nennen das eigenwirtschaftliche Forschung. Das Geld, das ich einnehme, mit den vielen Produkten, die draußen rummarschieren, das schmeiße ich hemmungslos wieder zum Fenster hinaus, um Produkte zu schaffen.

Sie sprechen wieder über Produkte.

Das Produkt ist die Philosophie. Die Andersartigkeit der Annäherung an die Dinge, das ist Materie gewordene Philosophie. Das begreifen die wenigsten. Sie stellen ja auch diese Fragen. Nehmen wir einen Flügel: ein Instrument, das seit Jahrhunderten gebaut wird. Die Deppen, die es bauen, haben nicht begriffen, dass jedes Saiteninstrument in innigem Körperkontakt gespielt wird. Ich habe bei meinem Entwurf mit einem Ring, der um das Gerät herumläuft, den Spieler reingesetzt in das Gerät. Wenn der seinen Rachmaninow da reinhämmert, dann spürt er die Musik in allen Körperteilen. Das ist materialisierte Philosophie. Verdammt und zugenäht, begreifen Sie es endlich!

Wie kommt es, dass Ihre Produkte selten in Serie gehen?

Wie können Sie so einen Quatsch sagen? Hören Sie auf mit Ihren provokativen Fragen, sonst schmeiß ich Sie raus. Die gehen in Serie. Wenn uns einer fragt, dann wird das sehr erfolgreich. Wir haben von 3.000 Produkten, die wir gemacht haben, tausende auf dem Markt. Und die Designer müssen später alles nachbauen. Ich bin der meistkopierte Designer weltweit. Darüber freue ich mich, denn Scheiße wird ja nicht kopiert.

Bevor ich gehen muss, möchte ich Ihnen noch etwas überreichen: ein Geburstagsgeschenk.

Na, von mir aus.

Aus Ihrer Heimatstadt: einen Buddy-Bären aus Marzipan.

Ach, das sind diese Stadttiere, die man zurzeit baut. Danke. Kenne ich aus Zürich mit Kühen. Eine Armseligkeit, dafür Gelder rauszuwerfen. Aus Marzipan?

Ja.

Ein Glück, dass man das aufessen kann. Dann muss ich es nicht so lange ansehen. Die Bemalung ist entzückend, da haben sich viele Menschen Mühe gegeben, die schön zu malen. Dafür haben sie Kohle, die Lumpen.

Wie sähe denn eine Colani-Image-Kampagne für Berlin aus?

Da würde ich mir etwas sehr Schlimmes ausdenken. Aber nicht bauen lassen, weil die investierte Kohle wieder an einer völlig falschen Stelle versickert.