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Archiv-Artikel

Das Glück ist ein Fohlen

Fortuneprall startet Borussia Mönchengladbach mit einem 1:0 gegen den starken und pechbeladenen Aufsteiger 1. FC Köln in die Saison. Beide Trainer sind am Ende zufrieden

aus Gladbach BERND MÜLLENDER

Oft schon ist es in diesem komischen Fußballsport vorgekommen, dass die einen sich umständlich mühen, viele Fehler machen und auch noch dafür belohnt werden. Und die anderen flotter, spielstärker und gefährlicher sind, zudem defensiv wohlgeordnet, um am Ende doch wort- und erfolglos den Bus zu besteigen. Insofern war Borussia Mönchengladbachs 1:0 gegen den Nachbarschaftsrivalen 1. FC Köln ein ganz normales Spiel.

Selten war es berechtigter, den großen Denker Jürgen Wegmann aus Essen-Katernberg zu zitieren, dessen Erkenntnis fälschlicherweise immer als dümmliche Sottise unterschätzt wurde: Erst fehlte das Glück, und dann kam auch noch Pech hinzu. Und das sogar doppelt für den FC, denn das einzige Tor war von besonders perfider Gemeinheit. In Minute 62, als schon die ersten Gedanken auftauchten, dass beide bald hitzebedingt auf doppelte Doppelnullsicherung umschalten könnten, kam der überragende Moses Sichone einen Moment zu spät gegen den durchstartenden Marcel Ketelaer: Rot. Für den anschließenden indirekten Freistoß brauchten die Borussen genau eine eigene Ballberührung; die Flanke von Korzynietz köpfte Kölns Matthias Scherz ins eigene Tor.

„Ewald Lienen muss einen Papst in der Tasche gehabt haben“, witzelte gestern in der ersten Schnellanalyse die Aachener Zeitung, „auch wenn das bei seiner politischen Vergangenheit schwer vorstellbar ist.“ Die wahren Gründe sind weltlicher: Das Glück war ein Fohlen. Außenbahnwirbler Ketelaer: „Ein bisschen glücklich, nicht berühmt gewonnen.“ Marcelo Pletsch, der robuste Defensiv-Brasilianer: „Einfach Glück.“ Der filigranfreie Pletsch hatte sich im Übrigen für das angebliche und in Gladbach viel beschmunzelte Interesse des FC Barcelona mit einer umjubelten Fallrückzieher-Rückgabe zum eigenen Torwart bedankt, womit der „der einzige Brasilianer, der nicht Fußball spielen kann“ (Extrainer Hans Maier) bewies, dass an der Vererbungslehre doch was dran sein muss.

Der papstfreie Ewald Lienen („nicht gerade in überzeugender Manier gewonnen“) verzichtete auf den Glücksbegriff. Der Trainer, der schon vor vielen Dingen seinen Respekt bekundet hatte (Gegner, Fans, Mitmenschen, dem Leben), formulierte: „Wir hatten Respekt vor den Räumen.“ Sollte heißen: vor den Stellen des Platzes, die der spielstarke FC hätte nutzen können. Und dort bauten die Borussen mit dynamischem Kampfkonzeptfußball sehr geschickt wandernde Mauern und Überzahlfallen wie Wanderbaustellen auf der Autobahn.

Lienens Elf spielt nach dem Motto: Fehler sind dazu da, wieder gutgemacht zu werden. Ansehnlicher Fußball ist von dieser Borussia allerdings kaum zu erwarten. Leute wie Strasser, Pletsch, auch Neuerwerbung Pascal Ojigwe (Lienens Lieblingsspieler) und vor allem Asanin, also Borussias gesamter Defensivbereich, werden in ihrer Karriere nicht mehr lernen, ein Spiel zu eröffnen und nach vorn Akzente zu setzen. Sie sind froh, gröbste Stolpereinlagen zu vermeiden. Herauskommt das Gegenteil des Gladbacher Vergangenheitsfußballs. Statt flitzigem Konterspiel und Kombinationen zum Zungeschnalzen gibt es Rezeptkicken. Wenn diese Mannschaft allerdings erst mal in Rückstand gerät, ist es vermutlich schnell mit der Heimstärke vorbei. Und dann gibt es womöglich, mit diesem ziemlich ungeduldigen Publikum, einiges an Problemen in dieser Saison.

Kölns Trainer Friedhelm Funkel gab sich gelassen: „Es kommt selten vor, dass ich zufrieden bin nach einer Niederlage.“ Fünf neue Feldspieler in der Startelf – da sei es doch „erstaunlich gewesen, welche Harmonie und welches Miteinander“ der FC gezeigt habe. Und gerade diese fünf waren neben Sichone die auffälligsten beim Wiederaufsteiger: Der fehlerfreie Abräumer Mustafa Dogan, der routinierte Jörg Heinrich, davor Sebastian Schindzielorz, der getreu seinem Spitznamen „die Nähmaschine“ die Löcher im Mittelfeld stopft, und die Angreifer Marius Ebbers (kopfballstark) und Andrej Woronin (flitzeschnell). Ewald Lienen sagte dem Ukrainer respektvoll nach, er sei „individuell einer der stärksten, die in der Bundesliga herumlaufen“.

Es war das letzte Derby im alten Stadion. Nächstes Mal geht es in den Sportpark im Nordpark. „Bye bye Bökelberg“, steht an der Anzeigetafel spielbegleitend, „noch 17 Mal mitfiebern“. Allerdings ohne die Bild-Zeitung als Sponsor. Borussias Mitgliederversammlung hatte im Sommer nach hitziger Debatte beantragt, das Blatt nach der Schmutzkampagne gegen Extrainer Hans Maier von der Anzeigetafel zu verbannen und den Vertrag fristlos zu kündigen. Der Club handelte entsprechend. In aller Sinne: Vor dem Boulevard hat auch Ewald Lienen wenig Respekt.