: Ein Sohn des Widerstands
Als er acht Jahre alt war, hängten Nazis seinen Vater auf. Der Münsteraner Soziologe Roland Reichwein erinnert sich gerne an seinen Vater, den Widerstandskämpfer gegen Hitler
AUS MÜNSTER HEIKO OSTENDORF
Leicht ist es nicht, in diesen Tagen ein Interview mit dem Sohn des Widerständlers Adolf Reichwein zu bekommen. Besonders jetzt – kurz vor dem 60. Jahrestag des Bombenattentats auf Hitler. Weil sein Vater Adolf Reichwein früh an den Umsturzplanungen beteiligt war, ist Professor Roland Reichwein in diesen Tagen ein sehr gefragter Gesprächspartner.
Im Arbeitszimmer des 68-jährigen Professors für Soziologie – seit 1976 lebt und lehrt er in Münster – scheint auch Adolf Reichwein zuhause zu sein. Fotografien seines Vaters stehen auf dem Bücherregal vor den vielen Büchern über den deutschen Widerstand. Ein Gemälde zeigt den Widerstandskämpfer in jungen Jahren.
Kämpfer, das Wort passe schon gut zu seinem Vater, meint Roland Reichwein: „Der hat sich bis an die Grenzen der physischen Belastbarkeit für den Widerstand eingesetzt.“ Aktiv war Adolf Reichwein im Kreisauer Kreis – der Widerstandsgruppe um Helmut Graf von Moltke und den Peter Graf Yorck, die sich schon früh Gedanken über die Zeit nach Adolf Hitlers Sturz gemacht hatten.
Reichwein selbst hatte schon in den zwanziger Jahren Verbindungen zu vielen politischen Gruppen unterhalten. Das habe ihm immer Spaß gemacht, dazu hatte er Talent, schwärmt Roland Reichwein: „Für die Zusammenarbeit in dem Kreis war er der ideale Typ“, – denn der Kreisauer Zusammenschluss bestand aus Kirchenvertretern, Konservativen und jungen linksorientierten Menschen. „Dieses politische Spektrum findet man so oft nicht“, sagt der Sozialisations-Theoretiker bewundernd.
Ein Teil des Kreisauer Kreises stimmte dann für eine gewaltsame Entfernung Adolf Hitlers und suchte die Nähe zum Militär, insbesondere zu Stabsoffizier Claus Graf Stauffenberg. Reichwein gehörte dazu, genauso wie Yorck und der einstige SPD-Reichtagsabgeordnete Julius Leber. Durch einen Spitzel flog die Gruppe auf und wurde Anfang Juli 1944 verhaftet.
In der Gefangenschaft müssen die inhaftierten Männer auch von dem missglückten Attentat erfahren haben: “Meine Mutter hörte, dass mein Vater und die anderen hart vom Scheitern des Anschlags getroffen waren – die wussten auch von der Bombe und hatten auf ein Gelingen gehofft“, meint Roland Reichwein heute.
Viel hätte seine Mutter aber nicht in Erfahrung bringen können – nur ab und zu seien kleine Zettel aus dem Gefängnis geschmuggelt worden. „Die Botschaften waren verschlüsselt, aber man konnte heraus lesen, dass er vom Überleben Hitlers wusste und darüber mehr als traurig war.“
Am 20. Oktober wurde Adolf Reichwein von den Nazis gehängt. Roland Reichwein war damals acht Jahre alt. „Es ist gut, so einen Vater gehabt zu haben“, sagt der Sohn, „aber dadurch habe ich ihn allerdings nie gesehen. Und ohne Vater aufzuwachsen, war nicht so gut.“ Vorwürfe mache er ihm aber deshalb nicht.
Die Mutter musste sich und die vier Kinder alleine durch die schwierige Nachkriegszeit bringen. „Erfreulicherweise hatte sie einen Beruf gelernt und konnte als Krankengymnastin etwas Geld verdienen“, erinnert sich Roland Reichwein. Trotzdem kamen die Kinder zu Verwandten und Bekannten: „Mein Vater hatte ja einen riesigen Freundeskreis, das war unser Glück.“
Entschädigungszahlungen für die Familien der Widerstandskämpfer habe es erst sehr spät gegeben. „Das ist auch ein Zeichen dafür, wie mit dem Widerstand nach `45 umgegangen wurde, die wurden ja erst als Landesverräter angesehen!“
Seltsam findet Roland Reichwein auch, wie heute mit dem Widerstand vom 20. Juli umgegangen wird: „Der militärische Teil wird durch symbolische Handlungen hochgehalten, wie zum Beispiel durch das öffentliche Gelöbnis im Anschluss an die Gedenkfeier in Berlin.“ Der zivile Widerstand werde hingegen oft vergessen. „Paradoxerweise zeigt aber die Einladung zu einer Ausstellung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Potsdam lauter Köpfe des zivilen Widerstands“, schmunzelt Reichwein Junior.