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Archiv-Artikel

Nazirocker wippen im Takt

Seit Anfang Juli wird in Berlin gegen die mutmaßlichen Mitglieder der Neonaziband Landser verhandelt. Im Gerichtssaal feiern Anhänger der Rechtsradikalen ihre Helden – während die mit den Richtern über das Musikgeschäft fachsimpeln

von HEIKE KLEFFNER

Im Saal 145 des Berliner Kammergerichts steigt die Stimmung. Richter Wolfgang Weißbrodt kündigt das Abspielen der indizierten CD „Deutsche Wut – Rock gegen Oben“ der Neonaziband Landser an. Während die drei mutmaßlichen Landser-Mitglieder, Michael R. (38), André M. (37) und Christian W. (27) auf der Anklagebank starr nach vorne gucken, wippen auf den Zuschauerbänken tatöwierte Neonazirocker im Takt. Der Refrain „Zigeunerpack, jagt sie alle weg, ich hasse den Dreck“ dröhnt durch den Saal; ohne Pause geht es weiter mit Texten wie „100.000 Liter Strychnin für Kreuzberg“.

„Begleitmusik zu Mord und Totschlag“ nennen Experten die Tonträger von Landser. Gespielt wurden sie bei der tödlichen Hetzjagd auf den algerischen Flüchtling Farid Guendoul in Guben und beim Mord an Alberto Adriano in Dessau. Doch nach einem Dutzend Verhandlungstagen gegen Deutschlands bekannteste Neonaziband, der die Bundesanwaltschaft die „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ nach §129 StGB vorwirft, ist von der politischen Brisanz des Verfahrens nichts zu spüren. Dabei gehört die Verbreitung nationalsozialistischer Ideen durch Musik zum erfolgreichsten Rekrutierungsansatz der extremen Rechten.

Seit Prozessbeginn gibt sich die militante rechte Szene im Kammergericht ein Stelldichein: kahl geschorene Skinheads, die Neonazirocker Vandalen und biedere Scheitelträger im gestreiften Polohemd.

Während der Hauptangeklagte und mutmaßliche Sänger der Band, Michael R. alias „Luni“, in einschlägigen Internetforen als „Held“ gefeiert wird, stehlen im Prozess zuweilen die Zeugen den schweigenden Angeklagten die Show. Zum Beispiel der bundesweit aktive Neonazi Thorsten Heise aus Frettenroda. Die Ermittler vermuteten, Heise sei bei den Aufnahmen zur indizierten Landser-CD „Republik der Strolche“ in Schweden dabei gewesen.

Vor Gericht mag sich der vorbestrafte 34-Jährige daran nicht erinnern. Stattdessen beschreibt Heise, wegen CDs mit rassistischen Texten im September selbst wieder auf der Anklagebank, die Gründe für den „Kultstatus“ von Landser. Deren Texte seien eben „radikal, ein bisschen durchdachter, ironisch und humorvoll“.

Eine väterliche Ermahnung von Richter Wolfgang Weißbrodt, einige Texte seien „wirklich nicht zum Lachen“, verpufft. Es ist die Distanzlosigkeit, mit der zwischen Richtertisch, Anklagebank und Zeugenstand im Plauderton über das Musikgeschäft gefachsimpelt wird, die aus dem als Musterprozess angelegten ersten Verfahren gegen eine Neonaziband wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung eine Provinzposse macht. Und den auffälligen Gedächtnisschwund vieler Zeugen, oftmals langjährige Neonaziaktivisten, unhinterfragt stehen lässt. Lediglich Horst H., erster Schlagzeuger von Landser, wollte gar nicht aussagen und sitzt seit zwei Wochen in Beugehaft.

Ursprünglich wollte der 2. Strafsenat des Kammergerichts den Anklagepunkt „kriminelle Vereinigung“ gar nicht zulassen. Nachdem der Bundesgerichtshof die Entscheidung der Berliner Richter verwarf, mühen sich die nun lustlos durch die Beweisaufnahme. Im Zeitraffer werden zehn Jahre rechtsextreme Organisierung, klandestine Bandproben, geheime Studios im Ausland und Presswerke in Osteuropa verhandelt.

Beobachter rechnen frühestens im Oktober mit einem Urteil. Ob die drei Angeklagten dann lediglich wegen „Progandadelikten“ oder doch als kriminelle Vereinigung verurteilt werden, mag derzeit niemand prognostizieren.