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Archiv-Artikel

Keine Leichen für die Kunst

Eine Arbeitsgruppe stellt Ethikkodex für den Umgang mit präparierten Leichen vor. Würden sich Mediziner und Museen an den Kodex halten, müsste so manches Präparat aus medizinischen Schausammlungen verschwinden

Seit Monaten lösen Gunther von Hagens’ „Körperwelten“ stürmische Diskussionen aus. Zentrale Frage ist, ob seine Plastinate die Würde des verstorbenen Menschen verletzen. Während der Debatten bemerkte man, dass es bislang fast keinerlei rechtliche Basis für den Umgang mit Verstorbenen gibt.

Nachdem sich auf Initiative des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden 15 Wissenschaftler über zwei Jahre lang mit dem komplizierten Gebiet beschäftigt haben, ist ein unverbindlicher Ehrenkodex entstanden. In den so genannten Empfehlungen zum Umgang mit Präparaten menschlicher Herkunft in Sammlungen, Museen und öffentlichen Räumen steht geschrieben, dass „künstlerisch verfremdete Präparate aus menschlichem Gewebe weder hergestellt noch aufbewahrt noch der Öffentlichkeit präsentiert werden dürfen“. Demnach sollten viele der künstlerisch veränderten Toten in von Hagens’ Ausstellung nicht gezeigt werden.

Doch auch Präparate in anderen Sammlungen Deutschlands könnten die Würde des Menschen verletzen. Einige stammen von Exekutierten, andere von Selbstmördern oder von Menschen, deren Leichnam nach einer Obduktion nur unvollständig bestattet wurde. Wie soll man mit Präparaten umgehen, deren Herkunft unbekannt ist? Darf man Präparate aus Kulturkreisen ausstellen, in denen ein anderes Rechtsempfinden herrscht? Und wie soll man sich verhalten, wenn die Sammlung Exponate enthält, deren Herstellung in früheren Zeiten gestattet war, im Sinne der heutigen Rechtsauffassung aber mit Sicherheit nicht?

Antworten auf all diese Fragen sollten gefunden werden. „Unser Ziel war es, den für die Sammlungen Verantwortlichen Leitlinien zur Verfügung zu stellen, mit denen die ethischen und rechtlichen Probleme zu lösen sind“, erklärte der Sprecher des Arbeitskreises, Robert Jütte.

Der Arbeitskreis empfiehlt, Präparate „achtungsvoll“ zu behandeln. Hierzu gehöre die Wahrung der Anonymität. Im Regelfall müsse eine schriftliche Einwilligung des Verstorbenen vorliegen. Hat jemand aufgrund seiner Abstammung, Weltanschauung, aus politischen Gründen oder durch Gewalt sein Leben verloren, sei eine posthumane Zurschaustellung eine Verletzung der Würde. Solche Exponate sollten aus der Sammlung herausgenommen werden. Soweit es möglich sei, müsse die Herkunft des Präparates geklärt werden – eventuell durch aufwändige Recherchearbeit.

Die Wissenschaftler rechnen damit, dass ihre Empfehlungen auch auf Kritik stoßen werden. Höchstwahrscheinlich finden sich in jeder anatomischen Sammlung bedenkliche Exponate, die herausgenommen werden müssen. So entfernte man aus der Sammlung von Virchow in der Berliner Charité bereits sechs Präparate aus der Nazizeit. Zudem sind Recherchen teuer, und die Finanzmittel sollen von den Trägern der betreffenden Einrichtung zur Verfügung gestellt werden. Wenn man jedoch die Würde des Verstorbenen wahren wolle, sei dies notwendig, meint Jütte. „Ethik hat ihren Preis.“ CLAUDIA BORCHARD-TUCH

Infos: www.aerzteblatt.de/plus2703