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Archiv-Artikel

HESS-GEDENKMARSCH: DER AUFSTAND DER ANSTÄNDIGEN IST LÄNGST VORBEI Gesucht: Zivilcourage

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat das Verbot für den „Rudolf-Heß-Gedenkmarsch“ in Wunsiedel aufgehoben. Schon im vergangenen Jahr konnten 2.500 Neonazis den Hitler-Stellvertreter in der bayerischen Kleinstadt unbehelligt zum „Märtyrer“ stilisieren. Heute wird Wunsiedel nun erneut zum Austragungsort des größten rechten Schaulaufens des Jahres. Problematisch an dem Freifahrtschein für Neonazis vom BVerfG ist dabei vor allem die richterliche Begründung: Mit Störungen sei „nicht zu rechnen“.

Diese durchaus zutreffende Feststellung verweist auf eine dramatische Leerstelle, die nicht durch härtere Gesetze und Verbote zu füllen ist. Drei Jahre nach dem „Aufstand der Anständigen“ gegen Rechtsextremismus, rassistische Angriffe und antisemitische Bedrohung ist von einer zivilgesellschaftlichen Mobilisierung auf den Straßen ost- und westdeutscher Städte kaum noch etwas zu sehen. Polizeipressestellen vermelden es als Erfolg, wenn, wie unlängst beim Heß-Gedenkmarsch im brandenburgischen Wittstock, „die Bevölkerung kaum Notiz nimmt“ von 200 marschierenden Neonazis. Das Scheitern des NPD-Verbots, Medien, die rechten Alltagsterror längst wieder in die Randspalten verbannt haben, die feste Verankerung einer rechten Alltagskultur nicht nur in den neuen Bundesländern, der Paradigmenwechsel vom „Aufstand gegen rechts“ zu „runden Tischen gegen Gewalt und Extremismus“ – all das zeigt: Die Mitte der Gesellschaft hat den Kampf gegen rechts längst wieder in die Schmuddelecke verbannt.

Derweil wird laut Statistik jeden Tag irgendwo in Deutschland eine rechtsextrem motivierte Straftat begangen. Und in Wunsiedel wird heute ungestört eines verurteilten NS-Kriegsverbrechers gedacht, der vor 16 Jahren Selbstmord beging. Wer gedenkt eigentlich im bayerischen Kolbermoor des 35-jährigen Mosambikaners Carlos Fernando, der am 15. August 1999 von einem stadtbekannten Neonazi mit der Begründung „Die Neger gehören alle totgeprügelt“ getötet wurde? HEIKE KLEFFNER