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Archiv-Artikel

Am Messdiener herumschrauben

Kinderpornos im Priesterseminar von St. Pölten: Österreich hat einen Skandal. Die katholische Kirche übt sich in Schadensbegrenzung, schickt einen Visitator und hofft auf eine vergessliche Öffentlichkeit. Aber wo liegt tatsächlich der Zusammenhang von Pädophilie, Klerus, Zölibat und Homosexualität?

VON MARTIN REICHERT

Der populärste Priester der Welt ist eigentlich schwul: Pater Ralph aus den „Dornenvögeln“, im echten Leben der Schauspieler Richard Chamberlain, bekannte, dass er Männer bevorzugt – und frustrierte auf der Stelle Millionen seiner weiblichen Fans. Ähnlich erginge es wohl vielen frommen Frauen, erführen sie, dass ihr geistlicher Beistand ein Homo ist, der nächtens schon mal auf der nächsten Autobahnraststätte oder in der Schwulensauna anzutreffen ist.

Der Skandal um das St. Pöltener „Kloster der Sünde“ (Bild-Zeitung) hat erneut ans Tageslicht gebracht, was in informierten Kreisen als gesichertes Wissen gilt: Die katholische Kirche ist die größte transnationale Homosexuellenorganisation. Selbsthilfegruppen schwuler Priester schätzen den Anteil auf 20 bis 50 Prozent, genaue Zahlen sind freilich nicht zu ermitteln.

Und nun auch noch St. Pölten, wo sich ein saftiger Skandal abspielt wie aus Otto von Corvins „Pfaffenspiegel“, einem Mitte des 19. Jahrhunderts verfassten antiklerikalen Pamphlet. Ein Leckerbissen für Liebhaber grellen Medienschaffens – mit einem rüpeligen Bischof Krenn in der Hauptrolle, der in Talkshows gern Homosexualität eine üble Krankheit nennt. Nun erweist sich, dass unter dem Dach seines Priesterseminars des Nachts die Türen klappen und priesterliche Gewänder zu Boden fallen.

Aus Lebensangst in den Schoß der römischen Kirche flüchten

Na und?, möchte man sagen. Ist es nicht einerlei, was der Klerus so in den Betten treibt? Ist es nicht, denn immer ist die Rede von einem „Sumpf“, denn es trockenzulegen gälte, wie der Auftrag an den päpstlichen Visitator Bischof Kapellari lautete. Ein Sumpf jedenfalls, in dem sich fast alles tummelt, was es an Klischees über Homosexuelle gibt: Gestalten, die es verrucht miteinander treiben, obendrein verkappte Nazis sind und ganz besonders auf Kinder stehen. Als Beweis gelten die aus dem Internet heruntergeladenen Kinderpornos, welche auf Computern des Priesterseminars entdeckt wurden. Kurzum: Nachrichten aus dem Schattenreich der Homosexuellen, wie man sie zu erfahren nicht mehr für möglich gehalten hätte.

Die wichtigere Frage aber ist: Wie hält man es als schwuler Priester in einem Verein aus, der die eigene sexuelle Identität verdammt, während in Rom der Petersplatz als Kontakthof für die Anbahnung von Sex unter Priestern und anderen Würdenträgern fungiert?

Mehr noch: Weshalb gibt es überhaupt so viele schwule Priester in der katholischen Kirche? Warum sind viele von ihnen immer wieder in Missbrauchsskandale verwickelt – und bestätigen das konservative Verdikt, Homosexuelle seien zügellos – kranke, allenfalls seelsorgebedürftige Triebschicksale?

Schätzungen aus den USA besagen, dass ungefähr zwei Prozent der Priester Minderjährige missbrauchen. Die Anzahl der wirklich Pädophilen, also jenen Menschen, die sich von Vorpubertären, bis zu dreizehn Jahre alten Minderjährigen angezogen fühlen, ist noch einmal geringer und betrifft 10 bis 20 Prozent der Delinquenten. Die meisten Priester aber, die Minderjährige sexuell begehren, fühlen sich, so der Theologe und Therapeut Wunibald Müller, ausschließlich zu Nachpubertären hingezogen, also zu „Epheben“ – keine Mädchen, sondern Jungs, die freilich weder Kind noch Erwachsener sein dürfen: männliche Objekte in der sexuellen Reife, doch im Stand so genannter Unschuld.

Die katholische Kirche hat ein Homoproblem, das sie selbst mit jeder neuen Attacke gegen gleichgeschlechtliche Liebe immer wieder neu entfacht: Junge Männer, die sich nicht mit ihrer Homosexualität auseinander setzen möchten, die sich vor einem Coming-out drücken wollen, weil sie zu schwach oder feige sind, sich gegen gesellschaftliche Widerstände durchzusetzen, flüchten sich in den Schoß der heiligen römischen Kirche, denn von ihr erhoffen sie sich Stabilität von außen. Es winken finanzielle Rundumversorgung, ein Lebensinhalt und vor allem der (falsch verstandene) Zölibat, mit dessen Hilfe sie hoffen, ihrer Sexualität entfliehen zu können.

Zölibat bedeutet, dass man sich im vollen Bewusstsein seiner Sexualität entschließt, fürderhin auf sie zu verzichten, es ist ein Gelübde der Ehelosigkeit um des Himmelreichs willen. Es gibt durchaus schwule Priester, die zu ihrer Homosexualität stehen und gleichzeitig auf „genitalen Verkehr“ verzichten, die Mehrheit beschreitet jedoch andere Pfade und mitunter auch dunkle Gassen, womit sie in der katholischen Kirche keineswegs alleine stehen, denn es ist der Zölibat, der die Priester (homo oder hetero) stärksten Anfechtungen aussetzt – oft vergebens.

Probleme, die mitunter im Missbrauch münden. Die verbreitete Ephebophilie (das Begehren von eben Geschlechtsreifen) unter Priestern beruht, Psychologen sind sich einig, auf einer stehen gebliebenen psychosexuellen Entwicklung. Die Betroffenen begehren sozusagen den Spiegel ihrer eigenen Sexualität, die auf der Stufe eines Fünfzehnjährigen stehen geblieben ist. „Der Anteil nicht reifer Homosexueller ist in der Kirche höher als in der Gesamtgesellschaft“, weiß Wunnibald Müller, der sich in seinem Münsterschwarzbacher Recollectio-Haus um Priester und Ordensleute kümmert, die in seelische Schwierigkeiten geraten sind, darunter auch einige Schwule.

Müller vermutet das Problem in einer sexuellen und emotionalen Unreife, die sich in einer Unfähigkeit zu echten Beziehungen und echter Intimität zeigt. Brutale Pointe: Als katholischer Therapeut hat er die schwierige Aufgabe, diese Fähigkeit zur Intimität herzustellen, damit der Betreffende ihr im Anschluss abschwören kann.

Für viele Angehörige des Klerus ist das zu kompliziert, sie wählen lieber den Weg des vermeintlich geringsten Widerstands und ergehen sich im Klandestinen. Hier mal ein bisschen mit dem Kommilitonen fummeln und hinterher beichten. Dort mal ein wenig am Messdiener herumschrauben und anschließend 20 Ave Maria. Der Grat ist schmal, auf dem sie wandeln – und leicht können sie kriminell werden. Das Schutzalter nach dem Sexualstrafrecht liegt bei 14, bei Verhältnissen mit Schutzbefohlenen oder Abhängigen bei 16 Jahren.

Die Missbrauchsfälle in der Kirche – ob in St. Pölten, in den USA oder in Spanien – sind das Symptom eines viel mächtigeren Problems: Die katholische Kirche ist ein Rückzugsort für Homosexuelle, die sich den Identitätsangeboten der schwulen Szene verweigern, die zum Teil Angst haben, in ihr nicht bestehen zu können und es vielleicht auch gar nicht wollen. Es ist mitunter auch Ausdruck schwulen Selbsthasses, sich ausgerechnet in die Arme der Peiniger zu werfen, die einem nur allzu gerne die schlechte Meinung, die man über sich selbst schon hat, bestätigen. Und Schwule, die eine schlechte Meinung über sich selbst haben, geben diese an ihre anonymen Sexualpartner gerne weiter: rein ins Gebüsch, in die Sakristei, abputzen, und ohne warme Worte wieder verschwinden. Die Hölle, wusste schon der Atheist Jean-Paul Sartre, sind wir selbst.

Der ehemalige Priester Titus Neufeld, 64, ist Kontaktmann der „Schwulen Priestergruppen Deutschlands“, einer Art Geheimorganisation, die von der Kirche offiziell wenigstens ignoriert wird. Neufeld gruselt es vor den „unheimlichen Heimlichkeiten“ der Tarnkappenpriester, die nicht nur den Ruf des Priesteramts, sondern auch den der Homosexuellen beschädigen: „Es entsteht ein Nebel von Animositäten, bei dem Homosexuelle, Priester und Pädophile in einen Topf geworfen werden.“ Er selbst ist Ende der Achtzigerjahre aus der Kirche ausgeschieden und lebt mit seinem Freund zusammen. Neufeld hätte eine Lösung anzubieten: Den Zölibat einfach abschaffen, vorbei wäre es mit dem unsichtbar machenden schwarzen Umhang. Neufeld hält es ansonsten wie alle aufgeklärten Menschen, die nicht vom katholischen Glauben lassen wollen: Er unterscheidet zwischen „unten“ und „oben“, zwischen der Basis und Rom. Von dort erwartet er gar nichts. Ein Konzil müsste vielleicht her, ein neues Kirchenvolksbegehren.

Wenn die katholische Kirche sich dazu durchringen könnte, ihre Sexualmoral einem Relaunch zu unterziehen, wenn Homosexuelle als gleichwertige Menschen anerkannt würden, auch offiziell das Priesteramt zu bekleiden, würde vielleicht alles gut. Es wäre egal, ob die Priester in St. Pölten sich gegenseitig an die Wäsche gehen. Das Risiko, hilfebedürftige Pädophile und Ephebophile anzulocken, wäre für die Kirche wesentlich geringer. Stattdessen versucht sie verzweifelt Sümpfe trockenzulegen, die sie selbst mit angelegt hat.

Sümpfe, die aus einer bigotten Sexualmoral erwachsen sind

Doch das hieße, das Unmögliche zu wünschen. Die römische Kirche wird bleiben, wie sie ist. Die skandalbegierige Öffentlichkeit wird deshalb weiter Stoff bekommen, die Geschichte katholischer Bigotterie ist längst nicht am Ende.