: Drastisch und brutal
Kompromisslose Darstellung des eigenen Körpers: Eine Wiener Ausstellung rekapituliert das Spätwerk von Maria Lassnig, in dem die Malerin ironisch und scharfsinnig auf sich und um sich schaut
VON JACQUELINE RUGO
„Ich steh jetzt oben auf dem Berg der Reife und schau herab aufs lange Lebenstal, doch fühle ich mich jetzt mehr vorsichtig als weise, das Leben gibt dir keine andre Wahl.“ 1992 schrieb Maria Lassnig diese Zeilen für ihren biografischen Zeichentrickfilm „Kantate“. In Kostümen, die einen ironischen Kommentar zu verschiedenen Lebensphasen darstellen (als Punk, Freiheitsstatue, Flüchtlingsfrau, Femme fatale oder braves Schulmädchen) erzählt sie singend ihre Lebensgeschichte.
Maria Lassnig ist zu diesem Zeitpunkt 73 Jahre alt, ausgezeichnet mit vielen Ehrungen. Nach der Biennale-Teilnahme in Venedig 1980 und der documenta-Teilnahme 1982 gilt sie als eine der herausragenden Künstlerinnen ihrer Generation. In den Jahren darauf wird sie in zahlreichen Einzelausstellungen in namhaften Museen in Amsterdam, Paris, Zürich oder London als eine Malerin gewürdigt, deren radikale Selbstbefragungen als wegweisende Auseinandersetzung mit dem Rollenbild der Künstlerin zu verstehen sind.
Jetzt widmet ihr das Wiener Museum Moderner Kunst (MUMOK) eine große Ausstellung anlässlich ihres 90. Geburtstag im kommenden September. Die ist keine Retrospektive, sondern konzentriert sich mit rund 60 Gemälden aus den letzten 10 Jahren auf ihr von malerischer Verve, konsequenter Eigenwilligkeit und ungebrochener Erfindungskraft geprägtes Spätwerk. Beim Rundgang verdichtet sich der Eindruck, dass Maria Lassnig den Gipfel des „Berg(s) der Reife“ zu einem gewaltigen Plateau verfestigt hat, von dem sie mit ironischen, humorvollen und scharfsinnigen Blick in sich, auf sich und um sich schaut.
„Du oder ich“ lautet der Titel eines 2005 entstandenen Selbstbildnisses, das bereits im letzten Sommer in der Londoner Serpentine Gallery für Aufsehen sorgte. Es zeigt die nackte Künstlerin vor einem hellen leeren Grund, mit weit aufgerissenen Augen, einem aus Verkrampfung und Verwunderung offenen Mund und gegrätschten Beinen, die ihr Geschlecht entblößen. Mit der linken Hand hält sie eine Pistole an die eigene Schläfe, mit einer zweiten Waffe zielt sie auf den Betrachter. Es ist ein drastisches und brutales Bild, das durch die demonstrative Entschlossenheit der Dargestellten bei gleichzeitiger Insichgekehrtheit verunsichert und provoziert. Das Gemälde ist eines der klarsten der Ausstellung und gleichzeitig auch eines der komplexesten. Man könnte es als Konzentration von Lassnigs substanziellen Motiven deuten, als Konglomerat, das die kompromisslose Darstellung des eigenen Körpers und der eigenen Befindlichkeit mit dem kritischen Blick von außen vereint.
Das Problem der Mehrdimensionalität der Körper hat Maria Lassnig in den vergangenen Jahren in zahlreichen Bilder umgesetzt, etwa mit „Eiserne Jungfrau“ und „Fleischige Jungfrau (2004), „Die Gläubigen und die Gutgläubigen“ (2002) und „3 Arten zu sein“ (2004). In diesen Arbeiten thematisiert Maria Lassnig die Lust am Spiel mit verschiedenen Sichtweisen ebenso wie mit dem Wissen um deren Untrennbarkeit. Gleichzeitig forciert Maria Lassnig eine kontrastreiche, expressive Farbgebung über hellem Grund. Oft an der Grenze zwischen Figürlichkeit und Abstraktion bewegen sich die Körper zwischen Realem und Grotesken und liefern den Nachweis für ein Hauptanliegen ihres langjährigen Schaffens: spürbare Körperempfindungen sichtbar zu machen.
Rückblickend kann das gesamte Schaffen von Maria Lassnig als Analyse des physischen Ereignisses körperlicher Erfahrung bezeichnet werden. Die ersten Körperbewusstseinszeichnungen entstehen bereits 1948/1949, nur wenige Jahre nach dem Ende ihrer Ausbildung an der Akademie der bildenden Künste in Wien. 1951 lernt sie bei einem Paris-Aufenthalt das Informel kennen und deutet es sogleich für ihre Bedürfnisse um. Freie Formen sind ihr selten Selbstzweck, sondern bereits damals von Körperlichkeit geprägt. Im konzentrierten Selbstbesinnen veräußerlicht sie ihre Gefühle. Ob Stärken oder Hinfälligkeiten, was sie im Befragen der eigenen Befindlichkeit erfährt, setzt Maria Lassnig in eine eigene, von stilistischen Vorbildern unabhängige künstlerische Sprache um.
Den verschiedenen Couleurs ihrer malerischen Ausdrucksmöglichkeiten und dem Spektrum ihrer Themen entsprechend, zeigt die Wiener Ausstellung diese drastischen Bilder, die situative und emotionale Zustände darstellen, parallel zur Körpergefühlsmalerei und den Selbstporträts mit Tieren. Augenfällig ist, dass die Künstlerin frühere Themen aktualisiert und variiert: Liebe, Alter, aber auch Krieg und Gewalt werden konfrontativer und direkter verarbeitet als jemals zuvor. Außer mit dem eigenen Ich als bevorzugtem Motiv arbeitet Maria Lassnig häufig mit Modellen, um realistische Bilder zu inszenieren. Sie bittet Bekannte und Nachbarn, Modell zu stehen, und bringt sie in teils kuriose bis tragische Positionen. 2001 entstehen mehrere Bilder, die männliche Gewalt thematisieren: „Don Juan d’Austria“, „Der Weltzertrümmerer“ und „Kinderschänder“. Maria Lassnig bekennt, dass die Erinnerung in den letzten Jahren für sie immer wichtiger geworden sei. „Die Außenwelt dringt so sehr auf einen Menschen heutzutage ein, dass man eigentlich gar nichts anderes darstellen könnte.“
Die besondere Wirkung der Bilder von Maria Lassnig hängt sicherlich mit ihrer Malweise zusammen. Nicht mit der Maltechnik, sondern mit ihrer Methode, durch ihre Art zu sehen, zu fühlen, zu erinnern, das Sichtbare zu verwandeln. Souverän bedient sie sich ihres Instrumentariums und schöpft entschiedener als je zuvor aus dem reichen Reservoir ihres umfassenden malerischen Oeuvres. Weit davon entfernt, bloß oberflächlich zu reizen oder nur durch ihre malerische Verve zu wirken, hören Lassnigs Bilder nicht auf, uns zu beschäftigen, auch nach dem überraschenden ersten Anblick, der bis zu einem gewissen Grad stets Betroffenheit auszulösen vermag. Sie bleiben – angenehm oder unangenehm – in Erinnerung haften, offensichtlich ein Kennzeichen ihrer Qualität. Mit der aktuellen Ausstellung ihres grandiosen Spätwerkes beweist die Künstlerin, dass sie zum Kreis der Großen gehört, und in dem gibt es bekanntlich nicht viele Frauen.
Bis 17. Mai, Museum Moderner Kunst Wien, Katalog im Verlag der Buchhandlung Walther König, 32 €