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Archiv-Artikel

Otto, der Zurück-Führer

Otto Schily nennt Abschiebung lieber Zurückführung. Semlers kleine Wortkunde zeigt den Unterschied

Nichts moralisch Anstößiges findet Otto Schily daran, illegal nach Europa Eingereiste „in ihr Herkunftsland zurückzuführen“. So der Innenminister im Gespräch mit Heribert Prantl, dem St. Georg des Rechtsstaats. Für die moralische Reinheit von Schilys Vorhaben sorgt schon der Gebrauch des Verbs „zurückführen“. Man nimmt den Flüchtling ans Händchen und führt ihn zurück in die Heimat, in einen sicheren Drittstaat oder – zukünftig – ins Auffanglager auf afrikanischem Terrain, um seinen Asylantrag dort wohlwollend zu prüfen. Leite meine Schritte und führe mich zurück, Oh fürsorglicher Zurück-Führer Otto!

Im Asyl- und Ausländerrecht heißt das bislang noch barsch „Abschiebung“, ein Begriff, der an bildlicher Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Dem Asylsuchenden, kurz dem „Asylanten “ (man beachte das Suffix -ant, wie bei Bummelant) entstanden beim Begriff der „Abschiebung“ keinerlei Zweifel über den Charakter der Maßnahme, mittels deren sein Aufenthalt in Deutschland oder der EU beendet wurde. Jetzt aber, nach dem Abschluss zahlreicher Rücknahmeabkommen und Verträge, gilt es, den verbesserten Bedingungen auch sprachlich Ausdruck zu verleihen.

Es handelt sich bei der „Zurückführung“ um den seltenen Fall der Vermenschlichung einer ursprünglich juristischen Ausdrucksweise. Ganz im Geist des bislang gängigen Wortgebrauchs heißt es beispielsweise noch in einem Urteil des Bundesgerichtshofs zum Kleingedruckten bei Reiseveranstaltern (3. 6. 2004): „Eine Zurückführung der Klausel auf ihren erlaubten Inhalt ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ausgeschlossen, sodass die Klausel insgesamt unwirksam ist.“ Pech für das Reiseunternehmen, aber gut für die logische Operation der Rechtsauslegung. Denn nicht jede Klausel bei allgemeinen Geschäftsbedingungen kann auf ihren (gerade noch) rechtlich haltbaren Bestandteil „zurückgeführt“ und damit für die Zwecke der Reiseveranstalter gerettet werden.

Die Vermenschlichung der juristischen „Zurückführung“ finden wir nicht nur bei Otto Schily, sondern auch in dem weiten Bereich der Sozialleistungen in Deutschland. So lesen wir von der „Zurückführung der Altersversorgung auf das im öffentlichen Dienst übliche Niveau“ oder die „Zurückführung der Neuverschuldung der sozialen Sicherungssysteme“. Auch hier werden wir zurückgeleitet aufs sichere Terrain des sozial Machbaren, denn im „Zurück“ ist eingeschlossen, dass es diesen rettenden Ursprungsort gibt, wo das „Zurückführen“ ein Ende haben wird. Die Zurückführung der Asylsuchenden hingegen garantiert uns, dass unser Deutschland-Boot nicht wegen Überfüllung kentert, sondern in den sicheren Hafen einläuft. Wirklich, wir sind von fürsorglicher Zurückführung umgeben.CHRISTIAN SEMLER