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Archiv-Artikel

Comeback der Collage

Die Identität und ihre Herstellung: Die Künstlerin Elke Krystufek mixt, klebt und schneidet aus, um auf die Gemachtheit der gesellschaftlichen Verhältnisse zu verweisen. Die entlarvende Bastel-Ausstellung „The Rich Visit the Poor, the Poor Visit the Rich – Part 2“ in der Bawag Foundation, Wien

VON JENS KASTNER

Das künstlerische Feld ist ein gesellschaftlicher Bereich, in dem es, wie in anderen auch, ungerecht und unfair zugeht. Kapital ist ungleich verteilt, credits werden unterschiedlich vergeben, sozialer und kultureller Reichtum in verschiedensten Mengen angehäuft. Wollen wir das Elend der Welt verstehen, können wir getrost mit dem Kunstbereich anfangen. Was hier wie die Zusammenfassung der kultursoziologischen Kernthesen Pierre Bourdieus klingt, ist Thema von Elke Krystufeks Ausstellung in der Wiener Bawag Foundation.

Anders als in vielen anderen ihrer Präsentationen stehen diesmal weder sie selbst noch der männliche Blick und der weibliche Körper im Mittelpunkt. Mit den Sehgewohnheiten und ihren Folgen beschäftigt sich die Künstlerin dennoch, in einer Auseinandersetzung mit dem eigenen Umfeld. Es mag wie zufällig erscheinen, dass Krystufek hierzu das Comeback der Collage betreibt, kunsthistorisch ist dieser Schritt aber keineswegs zufällig. Denn gerade zum Zweck ambitionierter Anklagen wurde besonders gern ausgeschnitten, gemixt und aufgeklebt. Der methodisch-technische Anschluss an John Heartfield und Max Ernst will offenbar auch inhaltlich an deren gesellschaftskritische Triebkraft anknüpfen. Die scheinbar willkürliche Zusammenführung von Stücken, Schnipseln und Fetzen war immer auch ein entlarvender Hinweis auf die Gemachtheit gesellschaftlicher Verhältnisse.

Durch die neue, künstlich-künstlerische Zusammensetzung von vermeintlich Zusammenhanglosem sollte darauf hingewiesen werden, dass – und manchmal sogar wie – soziale Tatsachen hergestellt werden und nicht der Natur entspringen. Doch der Surrealist Ernst als collagierender Maler vertritt nicht nur diese Traditionslinie, an ihn schließt auch die Beschäftigung mit dem eigenen Umfeld an. Denn er machte, etwa bei seinem Bildnis „Le Rendez-vous des amis“ motivisch die Kolleginnen und Kollegen zum Sujet. Nicht nur methodisch ist Krystufek also in bester Gesellschaft, sondern auch thematisch.

Ganz sicher hat Krystufek hier also auch eine Milieustudie geliefert. Kuratorinnen und Museumsdirektoren, Kunstproduzentinnen und ihre Rezipienten, sie alle tauchen als ausgeschnittene Figuren zwischen Zitaten aus Philosophiebüchern und Figuren aus Werbeprospekten auf. Was auf den ersten Blick wie unbestimmt fröhliche Oberstufenkunst wirkt, erweist sich bald als durchkomponierte Werkgruppe. Stararchitektin Hadid vor einer Bretterbude, der Slum von Baraccopoli hinter einem Jimmie-Durham-Zitat, ein Statement des in Nigeria geborenen Künstlers Yinka Shonibare vor einem Zapata-Porträt in Mexiko-Stadt, Klamottenwerbung und Chomsky-Spruch oder der nackte Körper der Künstlerin mit dem Kopf Catherine Davids: All diese geklebten Variationen legen plumpe Schlüsse ebenso nahe, wie sie auf komplizierte Zusammenhänge verweisen. Als Collagepartikel stehen kapitalismuskritische Statements wie die des US-amerikanischen Fotografen Allan Sekula inmitten von Ausschnitten aus Mode- und Zeitgeistmagazinen, feministische Positionen scheinen im Bilderrausch von Bennetons vereinigten Farben aufzugehen.

„The Rich Visit the Poor, the Poor Visit the Rich“ heißt die Ausstellung der 1970 in Wien geborenen Künstlerin, aber wer hier wen wo auf- oder heimsucht, bleibt offen. Die fundamentale Unklarheit, mit der gegenwärtig künstlerische Verfahrensweisen angesichts der Vielfalt der Darstellungen im Alltag der Informationsgesellschaft zu kämpfen haben, wird damit auf subtile und plakative Weise zugleich thematisiert. Zwar werden U- und E-Kunst, Mode-, Werbe- und Medienbranche und ihre Bilder durcheinander gerührt und geschüttelt, was als Reaktion auf die verschwimmenden Grenzen zwischen den Bereichen zu lesen ist. Das große Einerlei wird damit aber nicht behauptet. Denn unzweideutig wird vom Kunstraum aus agiert und auf ihn Bezug genommen.

Die fast manische Selbstbeschau samt exzentrischer Pose, mit der Krystufek sonst die Kunstdebatten bedient, tritt zugunsten eines ganz anderen Beitrages zurück, in dem es um die Erzeugung von Wissen und Macht geht und deren gegenseitige Verschränkung. Der nackte weibliche Körper, vornehmlich ihr eigener, der zuvor im Mittelpunkt ihres Schaffens stand, rückt in den Hintergrund. Fragen nach Identität und ihrer gesellschaftlichen Herstellung stellt Krsytufek nun anders. So dokumentiert sie das verwendete Material der 115-teiligen Collagenserie. Dieser Schritt lässt das zunächst willkürlich erscheinende Sammelsurium zu einer archivarischen Arbeit werden. Quellenangaben aus kunsttheoretischer und philosophischer Fachliteratur finden sich im Katalog ebenso wie Bildnachweise aus diversen Zeitschriften.

Der Katalog ist zudem im wahrsten Wortsinne Vorbild der Ausstellung, und nicht, wie sonst, seine nachträgliche Buchform. In Vitrinen sind die zerschnittenen Prospekte und Modeblätter einsehbar, um den schöpferischen Prozess zu bezeugen. Die grellen Colorprints beziehen sich damit nicht nur auf die sozialkritische und milieubeobachtende Kunstgeschichte. Sie reihen sich auch ein in diejenigen Werke, die mit Dokumentensammlungen Fragen nach Kanonisierung und hierarchischen Anordnungen in der Kunst aufwerfen. Die 31 großformatig hochkopierten Bilder verweben zudem soziale Kontraste mit Fragen des Geschmacks, über die sich aufgrund ihrer sozialen Situiertheit – laut Bourdieu – trefflich streiten lässt.

Elke Krystufek: „The Rich Visit the Poor, the Poor Visit the Rich – Part 2“. Bawag Foundation, Wien, bis 4. September