: „Der kompromiss eines kompromisses“
Für den Bund für vereinfachte rechtschreibung war die kleinschreibung schon 1924 ein „nahziel“. Seinem vorsitzenden Rolf Landolt geht die jetzige rechtschreibreform denn auch nicht weit genug: „nach der reform ist vor der reform“
taz: Herr Landolt, große deutsche verlage wollen zur alten rechtschreibung zurückkehren. Ist die reform gescheitert?
Rolf Landolt: Überhaupt nicht. Wie man hört, wollte der Springer-chef ursprünglich weit mehr verlage für sein vorhaben gewinnen und auf der frankfurter buchmesse den totalen stopp der neuen rechtschreibung verkünden. Insofern war die aktion eher ein misserfolg.
Die verlage argumentieren, das volk wehre sich gegen eine von oben verordnete reform.
Ist es etwa ein vorstoß von unten, wenn zwei großverlage über die rechtschreibung bestimmen wollen? Der „Bund für vereinfachte rechtschreibung“ ist eindeutig eine initiative von unten. Der anstoß für die rechtschreibreform kam ganz bestimmt nicht von oben.
Soll das heißen, sie haben die reform durchgesetzt?
Leute wie wir, nicht nur in der Schweiz, haben jahrzehntelang darauf hingearbeitet. Auch wenn ich zugebe, dass wir eine bessere reform wollten.
Wie müsste solch eine bessere reform aussehen?
Der jetzigen reform wird zum verhängnis, dass sie nur der kompromiss eines kompromisses ist. Zum beispiel wurde schon 1924, als unser verein gegründet wurde, die substantiv-kleinschreibung als nahziel definiert. Ein fernziel war die lösung der dehnungsfrage, die bei der jetzigen rechtschreibreform völlig ausgeklammert wurde …
… dass also das dehnungs-„h“ in wörtern wie „dehnung“ wegfallen würde?
Ja, oder durch doppel-e ersetzt würde. Diese frage hat schon in Konrad Dudens „zukunftsorthographie“ eine große rolle gespielt. Ein anderes beispiel ist der f-laut, der abwechselnd mit f und mit v wiedergegeben wird. Das ist sehr inkonsequent.
Es ist auffällig, dass sich die zeitungen bei ihnen in der Schweiz nicht am aufstand gegen die rechtschreibreform beteiligen. Woran liegt das?
Ein ganz banaler grund ist, dass die schweizer zeitungen kein ß verwenden. Auf den ersten blick ist die frage, ob eine zeitung in alter oder neuer rechtschreibung verfasst ist, gar nicht so leicht zu entscheiden.
Seit wann verzichtet die Schweiz auf das ß?
Das ß wurde bei der umstellung von der deutschen frakturschrift auf die lateinische antiqua gewissermaßen vergessen. Die fraktur wurde in der Schweiz früher zurückgedrängt als in Deutschland. Eine rolle spielten die mehrsprachigkeit und die tastatur der schreibmaschinen. Dort ließ man das ß und die großen umlaute zugunsten französischer zeichen weg. Es ist auch ein bisschen zufall, dass das ß in Deutschland überlebte und das lange Binnen-⌠ nicht.
Welcher buchstabe bitte?
Da sehen sie: Wenn eine regel nur lange genug abgeschafft ist, wird sie irgendwann auch nicht mehr vermisst. Dabei wäre es vielen leuten früher ein gräuel gewesen, ein wort wie „ausscheiden“ mit doppel-s zu schreiben. Früher schrieb man „aus⌠cheiden“ mit einem schluss-s in „aus“ und einem langen binnen-⌠ in „⌠cheiden“.
Wo steht das deutsche heute auf der internationalen skala, was die logik der rechtschreibung betrifft?
In bezug auf die substantiv-großschreibung, die es nur im deutschen gibt, ist es sicherlich die komplizierteste sprache. Sonst ist aber das englische am abschreckendsten. Dort hat sich die aussprache im lauf der jahrhunderte stark verändert, aber die schreibung ist gleich geblieben. Auch das französische ist kompliziert, aber regelmäßig. Dann kommt das deutsche. Die übrigen 60 sprachen in europa haben es fast alle besser als wir.
Was wird ihre vereinigung jetzt tun, um die sache der reform voranzubringen?
Es liegt in der natur der sache, dass die befürworter der reform ihr anliegen nicht so fanatisch vertreten wie die gegner. Wir wenden keine sechsstelligen summen aus unserem privatvermögen für anzeigenkampagnen auf. Wir sagen auch nicht wie der schriftsteller Ralph Giordano, bestimmte dinge ließen sich nur über unsere leiche machen. Aber wir versuchen, die öffentlichkeit schon auf die nächste reform vorzubereiten, immer nach dem motto: nach der reform ist vor der reform.
INTERVIEW: RALPH BOLLMANN