Ein äußerst wichtiges Ereignis

Nach der wie eine Droge wirkenden Hitze der vergangenen Tage kam er endlich über uns: der ersehnte Regen. Allerdings war es ein überraschend unspektakulärer und sanfter Regen, der einen trotzdem keineswegs enttäuschte

Der heißeste Tag war ja so gewesen: Man hatte nicht schlafen können und war ganz früh aufgewacht und hatte am Morgen noch kleine Déjà-vus gehabt, denn plötzlich hatte es so gerochen wie in Bukarest, Athen oder Bangkok: stickig, heiß und am Rande nach süßlich verwesendem Abfall. Dieser leichte Verwesungsgeruch war schön, aber als man sich dann an die Arbeit machte, ging nichts mehr. Man duschte Kaffee trinkend und rauchend im Wind des Ventilators.

Die Hitze war eine böse Droge, der Kreislauf benahm sich komisch, die Wahrnehmung hatte sich verändert, das Gehirn war eine dampfende Pfütze, und schlafen ging auch nicht. Im Radio war von Gewittern die Rede, die am Abend Berlin erreichen würden. Im Himmel taten sich Wolken zusammen, doch nur kurz, um einen zu necken.

Gegen Mittag entschied man sich für Hitzefrei und ging ganz vorsichtig hinaus. Viele Kreuzberger liefen in Zeitlupe mit nacktem Oberkörper durch die Gegend. Vor manchen Häusern standen Krankenwagen mit offenen Türen. Es ist nicht einfach, nur zu warten in der Hitze. Abends im Fernsehen sagte jemand, die Unwetter hätten schon Westdeutschland erreicht, sie würden auf ihrem Weg nach Berlin immer stärker werden. Eine Freundin ohne Fernsehen sagte, die lügen, guck doch mal in den Himmel. Wartend schlief man ein und wachte wieder auf um halb drei. Wie schön war doch der Regen und der kühle Wind in der Wohnung! Man stand auf und setzte sich im Dunkeln aufs Sofa, so als gäbe es jetzt die Mondlandung im Fernsehen, rauchte schlaftrunken und überlegte, ob man diesen oder jenen anrufen sollte. Dieser Regen war ja ein äußerst wichtiges Ereignis, das verpasst zu haben einen jeden ärgern würde. Gelegentlich blitzte es und donnerte abwartend von weitem. Seltsam, dass dieser Regen so sanft war und überhaupt nicht der Erwartung entsprach, die die Hitze der vergangenen Tage aufgebaut hatte. Seltsam, dass einen das nicht enttäuschte.

Man denkt ja, dass der Regen eine Antwort ist auf die fragende Hitze, die tagelang hier gewütet hatte, und dass diese Antwort der Hitze entsprechen müsse. Oder auch dass Hitze und Gewitter einander ruinierend wie im Potlatsch übertrumpfen, bis dass die ganze Welt in Schutt und Asche liegt. Im Haus gegenüber streckten zwei Menschen ihre Köpfe in den Regen. Niemand tanzte auf der Straße. Nun ist der Sommer zu Ende. Das ist doch auch schön, denkt man voreilig.

DETLEF KUHLBRODT