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Archiv-Artikel

Putsch, Streik, Referendum

AUS CARACAS INGO MALCHER

Über 200.000 Gegner von Hugo Chávez stehen auf der Stadtautobahn im Osten von Caracas. Sie schwenken blau-gelb-rote venezolanische Fahnen, singen im Chor „Er wird gehen, er wird gehen“ und filmen sich dabei mit Videokameras. Es gibt Bier zu kaufen, Popkorn und Grillspieße. Auf der Bühne spielt eine Salsa-Band, darüber hängt ein riesiges Transparent: „Ja, wir gewinnen.“

Um sieben Uhr abends kündigt der Moderator den Festredner des Abends an, den Gouverneur des Bundesstaates Miranda, Enrique Mendoza. Eine Baseballmütze auf dem Kopf, die Arme siegessicher in die Höhe streckend betritt Mendoza die Bühne und legt los: „Mit Ja endet in Venezuela die Teilung und die Gewalt, mit Ja schaffen wir ein neues Land, ein Land der Arbeit und des Friedens, mit Ja sorgen dafür wir, dass die Zeit des Regimes abgelaufen ist.“

Am Sonntag werden 14 Millionen wahlberechtigte Venezolaner in einem Referendum darüber entscheiden, ob Präsident Hugo Chávez weiter im Amt bleiben darf oder abtreten muss. Auf den Bildschirmen der elektronischen Wahlmaschinen wird dann die Frage stehen: „Sind Sie damit einverstanden, dem Bürger Hugo Chávez Frías das ihm für die derzeitige Periode gegebene Mandat als Präsident der Bolivarischen Republik Venezuela zu entziehen?“ Für das „Ja“ hat sich eine breite Front aus Parteien, Gewerkschaften und dem Unternehmerverband zu dem Bündnis „Demokratische Koordinierung“ zusammengeschlossen. Ihr gemeinsames Ziel: Chávez muss weg.

Doch was dann? Nicht wenige Politiker der Opposition gehören Parteien an, die für Korruption und Krise verantwortlich sind – und damit Chávez ungewollt zur Macht verholfen haben. Weiter träumen mindestens zehn Männer aus der bunten Truppe davon, selbst einmal Präsident zu werden. Die Gegnerschaft zu Chávez ist ihr kleinster gemeinsamer Nenner – und ihr einziger.

Bei der Finanzierung des Referendums half die US-Regierung. Venezuela ist der einzige lateinamerikanische Mitgliedsstaat des Erdölkartells Opec und verkauft mehr Öl in die USA als Saudi-Arabien. Chavez lehnt eine Privatisierung der Erdölindustrie strikt ab. Es ist der dritte Versuch der Gegner von Chávez, den Caudillo-Präsidenten aus dem Amt zu hebeln. Am 11. April 2001 putschten Militärs, Chávez wurde abgesetzt, doch zwei Tage später war er wieder im Amt. Zum Jahreswechsel 2002/2003 legen Chávez-Gegner mit einem Streik die staatliche Erdölfirma PDVSA lahm und blockieren drei Monate lang das Land. In der Folge des Streiks gehen 6.000 Firmen Pleite, Chávez konnte sich im Amt halten. Jetzt werden die Venezolaner an den Urnen über seine politische Zukunft entscheiden.

Und Mendoza kennt auch schon ihre Antwort. „Wir sind die Mehrheit, am Sonntag werden wir alle mit Ja stimmen, und schon heute sagen wir dem letzten Drittel, das zu diesem Regime hält, dass wir zwei Drittel sind.“

In der Quinta Libertad im eleganten Stadtviertel Porto Alegre, wo Caracas wie Miami wirkt, hat die Demokratische Koordinierung ihr Hauptquartier bezogen. Hinter der Türe mit dem Schild „Strategiekommission“ sitzt Pompeyo Marquez. Er wird als möglicher Präsidentschaftskandidat der Opposition gehandelt. Kein Job, den einer gerne macht: Das Mandat dauert dann nur drei Jahre.

Doch Marquez wäre eine kluge Wahl. An politischer Erfahrung mangelt es ihm nicht, der 82-Jährige ist ein Politprofi. Im Alter von 14 Jahren trat er der Kommunistischen Partei bei, von 1948 bis 1958 war er deren Generalsekretär im Untergrund. Insgesamt acht Jahre saß er wegen politischer Aktivitäten im Gefängnis, er gründete eine Partei („Bewegung für den Sozialismus“) und verließ sie wieder, er war Senatspräsident und fünf Jahre lang Staatsminister.

„Chávez ist gescheitert“, sagt Marquez, „statt zu versöhnen, hat er Hass gesät, es gibt keinen Rechtsstaat, und er hat einen autoritären Stil.“ Trotz eines hohen Ölpreises, der in diesem Jahr durchschnittlich 32 Dollar je Barrel betrug, sei es Chávez nicht gelungen, die soziale Situation in dem Erdölland zu verbessern und die Wirtschaft in Gang zu bringen. Stattdessen sei der staatliche Erdölkonzern PDVSA eine „schwarze Kasse der Regierung“. Einen Teil der PDVSA-Gewinne lässt Chávez in einen Fonds fließen, mit dem er Sozialprojekte finanziert.

Für Marquez: „Reine Wahlkampftaktik, er hat das vor dem Referendum schnell gemacht. Sich als Präsident der Armen hinzustellen, ist nichts als Rhetorik.“ Statt Sozialpolitik zu betreiben, habe Chávez Hass der Armen auf die Reichen geschürt. „Löst man so die Probleme eines Landes, wenn man Klassenkampf predigt? Das ist doch der Niedergang“, meint der einstige Kommunist.

Vor dem Büro von Márquez pinnt eine junge Frau Zeitungsausschnitte über das Referendum auf eine Tafel. Die beiden angesehenen Tageszeitungen El Universal und El Nacional schicken nur selten Reporter und Fotografen zu Veranstaltungen von Hugo Chávez. Dafür liefern sie tagtäglich Munition gegen ihn: Der Präsident kommt bei ihnen nur als Bengel vor.

Die privaten Fernsehsender setzen gerne noch einen drauf. Sie sprechen von einer Diktatur, die Chávez vorbereite. Aus Fakten und Fiktion mixen sie einen sauren Anti-Chávez-Cocktail. So soll Chávez gezielt Ausländer ins Land holen und sie sofort zu Venezolanern machen, damit er das Referendum gewinnt. 500.000 Chinesen hätten inzwischen schon einen venezolanischen Pass. Auch wurde gemeldet, dass kubanische Soldaten an geheimen Orten Chávez-Anhänger für den Untergrundkampf trainierten. Im Falle einer Niederlage am Sonntag kann dann ein Guerillaheer losschlagen. Und der Moderator von „Globovisión“ kündigt am Donnerstagabend einen Bericht über Chávez mit den Worten an: „Mal sehen, was der Präsident macht, es sind seine letzten Stunden als Präsident.“

Francisco Arias Cardenas zuckt mit den Schultern. „Die Medien spielen ihr eigenes Spiel“, sagt er. Auch Arias wird von den Fernsehsendern und Zeitungen gemieden. Zwar hängt im Gang vor seinem Büro ein Plakat auf dem groß „Ja“ steht, aber er fühlt sich Chávez auch verbunden. Die beiden waren einst sehr enge Freunde. „Wie Zwillinge“, sagt Arias. Als Chávez im Jahr 1992 gegen den damaligen Präsidenten Carlos Andrés Pérez putschte, war Arias sein zweiter Mann. Der demokratisch gewählte Chávez verkörpert für Arias nicht mehr die Ideen von damals. Deshalb stellte er sich im Jahr 2000 selbst gegen ihn zur Wahl, es reichte aber nur zu einem Achtungserfolg von 39 Prozent. „Chávez militarisiert den öffentlichen Raum und kennt nur Konfrontation“, sagt der ehemalige Kamerad über den Präsidenten. Auch Rafael Simon Gimenez hofft, dass Chávez am Sonntagabend umziehen muss. „Er ist für Venezuela eine Tragödie.“ Einerseits. Andrerseits: „Ich habe meine Zweifel daran, was danach kommt.“ Gimenez ist Parlamentsabgeordneter und Gründer der sozialdemokratischen Partei Vamos. Der „Demokratischen Koordinierung“ beizutreten, geht ihm zu weit. „Dort sind alle drin, gegen die wir immer gekämpft haben“, sagt er. Gimenez will weder die Rückkehr der alten Geister, noch will er einen Präsidenten Chávez. Ein Dilemma, für das es im extrem polarisierten Venezuela dieser Tage keine Lösung gibt.

Rein rechnerisch kann es aber auch ein Remis geben, dann bleibt das Land im Wahlkampf: Erreicht die Opposition 3,6 Millionen Stimmen, und Chávez 3,2 Millionen, dann gibt es ein Patt. Zwar hätten seine Gegner gewonnen. Um ihn aber abzusetzen, brauchen sie eine Stimme mehr, wie er bei seiner Wahl hat verbuchen können, also 3,7 Millionen plus eine. Und das würde dann bedeuten: Chávez bliebe trotz Niederlage.