piwik no script img

Archiv-Artikel

Analyse der Analyse

Mit ihrem Film „Empathy“ verbindet die Videokünstlerin und Regisseurin Amie Siegel dokumentarische Interviews, die fiktive Geschichte einer Schauspielerin und einen Film-im-Film-Essay über Psychoanalyse und Architektur

Die Patient-Therapeut-Beziehung, darin sind sich die Herren in den Ledersesseln unisono einig, sei doch wohl die ehrlichste Beziehung, die man sich vorstellen könne. Und, nein, man habe noch nie einen Patienten angelogen. Höchstens vielleicht. Oder als Notlüge. Und nur ein kleines bisschen.

Die Interviewerin, die durch Beharrlichkeit und Neugierde derlei Geständnisse aus altgedienten Therapeuten herauspresst, ist gar keine, sondern eine Schauspielerin, die den Platz der Regisseurin eingenommen hat, um das gewöhnliche Frage-Antwort-Schema umzudrehen und die – nach der klassisch freudianischen Lehre – ansonsten vornehm schweigsamen Psychodoktoren zum munteren Reden zu bringen. Die Psychoanalytiker sind echt, aber sie spielen auch Psychoanalytiker, wenigstens manchmal. Vielleicht auch immer. Was echt und was gespielt ist, lässt sich nicht mehr so leicht voneinander trennen, vor allem nicht in der Psychoanalyse, der inszeniertesten Beziehung, die man sich vorstellen kann.

„Das haben Sie doch nicht etwa aufgezeichnet mit ihrem Aufnahmegerät?“, fragt der interviewte Analytiker, der eben am Telefon mit einem Patienten gesprochen hat, und macht beim letzten Wort eine ängstlich wegwerfende Handbewegung. Nein, nein, versichert eine Stimme hinter der Kamera, aber wir wissen: doch, Wort für Wort, und sind zugleich verunsichert: Das muss der doch mitkriegen, spätestens dann, wenn er den Film zu sehen bekommt. Auch Aufnahmegeräte können lügen, nur ob wir etwas vorgespielt kriegen oder der angeblich Bespitzelte wird nicht klar. Aber mehr noch als die mögliche Verletzung von Patientengeheimnissen verunsichert den Seelendoktor wohl die Anwesenheit des technischen Apparates. Denn was anderes als ein „Aufnahmegerät“, das nur dazu da ist, das gesprochene Wort zu empfangen, ist er denn selbst?

Als eine „Analyse der Psychoanalyse“ beschreibt die amerikanische Dichterin, Videokünstlerin und Regisseurin Amie Siegel ihren Film, der dokumentarische Interviews, die fiktive Geschichte einer Schauspielerin, die unter Ich-Verlust leidet, echte und gespielte Screen-Tests, Computeranimationen und einen Film-im-Film-Essay über Psychoanalyse und Architektur miteinander verbindet. Denn eigentlich ist die Freudsche „talking cure“, neben vielem anderen – mediale Versuchsanordnung, Macht- und Geschlechterverhältnis, Selbstoffenbarung als Selbstinszenierung, gesellschaftlich sanktionierter Voyeurismus – auch eine Frage der richtigen Möbelwahl. Eine Couch muss sowieso sein, aber erst der richtige Stuhl, der ultramodernistische Eames-Chair in schwarzem Leder, macht die Inneneinrichtung komplett.

„Empathy“ – Einfühlung – ist nicht nur die Grundlage der psychoanalytischen Beziehung, es ist auch die Methode des Schauspielers, in andere Rollen wie in eine zweite Haut zu schlüpfen. Amie Siegel hat „Screen Tests“ für ihren Film gemacht, um die richtige Besetzung für die Rolle der Schauspielerin zu finden, und diese Sequenzen gleich in den fertigen Film eingebaut. Allerdings waren einige der Frauen Bekannte von Siegel, die vor der Kamera nur so tun, als würden sie „in echt“ vorsprechen. Aber was für einen Unterschied macht das?

Die Grenzen der Narration und des Dokumentarischen werden in „Empathy“ radikal aufgehoben, was weniger experimentell als bloß konsequent ist für ein Sujet, in dem es genau darum geht: die Zufälle und Irrwege der eigenen Biografie in eine Erzählung zu verwandeln zum Zwecke der Selbsterkenntnis. Oder, wie Siegel ihre Aufgabe formuliert: „Die Grenzen zwischen dem Visuellen und dem Intuitiven auf der einen und den Theoretischen oder Akademischen auf der anderen Seite durchlässig zu machen, damit abstrakte oder philosophische Ideen Umgang pflegen können mit dem Alltäglichen.“ DIETMAR KAMMERER

„Empathy“, USA 2003. Regie: Amie Siegel, mit Gigi Buffington, Dr. David Salomon, 92 Minuten, OmU, Brotfabrik-Kino, Prenzlauer Promenade 3, Weißensee, Termine siehe Programm