: Chodorkowski soll im Knast versauern
Weil er jetzt einen Antrag auf vorzeitige Entlassung aus dem Gefängnis stellen könnte, strengt die politische Justiz in Russland einen zweiten Prozess gegen Michail Chodorkowski wegen Geldwäsche an. Bei einem Schuldspruch drohen ihm 22 Jahre Haft
VON BARBARA OERTEL
Russlands prominentester Gefangener, Michail Chodorkowski, steht seit Dienstag in Moskau erneut vor Gericht. Die Anklage wirft dem 45-jährigen Exchef des Ölkonzerns Jukos sowie seinem früheren Geschäftspartner Platon Lebedew Unterschlagung und Geldwäsche von Beträgen in Höhe von insgesamt 50 Milliarden US-Dollar zwischen 1998 und 2003 vor. Im Falle einer Verurteilung drohen Chodorkowski bis zu weiteren 22 Jahren Haft.
Die Voranhörung in dem von Sicherheitskräften abgeschirmten Gericht fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Unter Rufen wie „Schande“ und „Freiheit für politische Gefangene“ versammelte sich rund ein Dutzend Demonstranten vor dem Gebäude. Die Polizei nahm mehrere Personen wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung fest.
Chodorkowski war 2003 unter dem Vorwurf der Unterschlagung und Steuerhinterziehung verhaftet worden. Im Mai 2005 wurde der heute 45-Jährige zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt, die er in einem Straflager im sibirischen Tschita verbüßt, rund 6.000 Kilometer von Moskau entfernt. 2006 wurde der Konzern Jukos zerschlagen, die Mehrheit der Anteile übernahm der staatliche Ölkonzern Rosneft.
Beobachter hatten seinerzeit den ersten Prozess gegen Chodorkowski als rein politisch motiviert und als Warnung an andere renitente Oligarchen bezeichnet. So hatte der Milliardär und Exoligarch unter anderem die Politik des Kreml unter Staatspräsident Wladimir Putin mehrfach scharf kritisiert, seine eigenen Ambitionen auf das Präsidentenamt öffentlich gemacht und Aktivitäten der Opposition finanziell großzügig unterstützt.
Der neue Prozess gerade zum jetzigen Zeitpunkt ist kein Zufall. Mittlerweile hat Chodorkowski die Hälfte seiner Gefängnisstrafe abgesessen und hätte damit laut Gesetz die Möglichkeit, eine vorzeitige Entlassung zu beantragen. „Allem Anschein liegt diesem Verfahren die politische Entscheidung zugrunde, Chodorkowski zu einer weiteren langjährigen Haftstrafe zu verurteilen. So soll sichergestellt werden, dass er weiter hinter Gittern bleibt“, sagte der Oppositionspolitiker und frühere Dumaabgeordnete Wladimir Ryschkow.
Kritiker wie Ryschkow betrachten das neue Verfahren jedoch auch als eine Art Test für die russische Justiz und die Glaubwürdigkeit von Russlands Präsidenten Dmitri Medwedjew. Der hatte sich vor seiner Wahl im März 2008 als Verfechter des Rechtsstaates geriert und vollmundig angekündigt, gegen Rechtsnihilismus und die grassierende Korruption vorzugehen sowie den Aufbau eines Gerichtssystems voranzutreiben, das politischem Druck und politischer Einflussnahme entzogen ist.
Doch danach sieht es im Moment nicht aus – im Gegenteil. Wie die russische Tageszeitung Kommersant berichtete, seien der Verteidigung die Prozessakten – 14 Bände – erst am vergangenen Sonnabend zugegangen. Es sei unmöglich gewesen, in dieser kurzen Zeit das Material zu sichten, zitiert das Blatt Vadim Kljuvgant, einen der Anwälte Chodorkowskis. Aus diesem Grunde wollte die Verteidigung am Mittwoch einen Aufschub bis zum tatsächlichen Prozessbeginn erwirken, um sich mit der Aktenlage vertraut machen zu können. Dieses Vorgehen hat im Fall Chodorkowskis Methode. Auch im ersten Prozess waren relevante Akten den Anwälten bis kurz vor dem Prozesstag vorenthalten worden.
Daran, dass Chodorkowski einer weiteren Verurteilung entgehen könnte, glaubt in Russland kaum jemand. Immerhin konnte er im vergangenen Februar einen kleinen Sieg für sich verbuchen. Ein Moskauer Gericht lehnte die Zivilklage einer Mitgefangenen Chodorkowskis ab. Diese hatte wegen sexueller Belästigung eine Entschädigung in Höhe von 14.000 Dollar gefordert. „Vor Gericht kippen sie diesen Schmutz aus, um bei den Menschen den Eindruck zu erwecken, dass er nicht nur ein Dieb, sondern ein Vergewaltiger und ein moralisch korruptes Individuum ist“, sagte Chodorkowskis Mutter, Marina Chodorkowskaja.