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Archiv-Artikel

Keine Idee für neue Hüllen

Die „gelingende Darstellung von Bedeutung“ ist das Schöne: Professoren, Planer und Politiker suchen nach geistigem Fundament für künftige Bauten

„Jedes Schiff, das tief in den Hafen fährt, ist ein Segen für die Hafenpsyche“„Was mich am meisten beschäftigt, ist, dass die Politik nicht diskutiert hat“

von gernot knödler

Den letzten starken Impuls hat die Hamburger Architekturdebatte vor 30 Jahren erhalten. Damals entdeckten Volkwin Marg und seine jungen Kollegen, dass diese Stadt am Wasser liegt – eine Tatsache, die für die Architektur erst als Leitprinzip entdeckt werden konnte, nachdem sich die wuselige Geschäftigkeit des Hafens auf die südliche Elbseite zurückgezogen hatte. Heute sind die Fleete neu bebaut. Die Stadt verwirklicht eine vom ehemaligen Oberbaudirektor Egbert Kossak erfundene „Perlenkette“ aus „architektonischen Highlights“ am Hafenrand und baut die Hafencity, eine Erweiterung der Innenstadt auf ehemaligem Hafengelände. Es war also nur folgerichtig, dass der Bund Deutscher Architekten (BDA) den reifen Marg als ersten Redner zu seinem Architektur-Club einlud, wo seit Februar in zweimonatigem Abstand die Frage erörtert wird: „Wie sollen wir Hamburg bauen?“ Das nächste Mal trifft sich die exklusive Runde am Montag.

Marg startete mit einer Eloge auf Hamburg als „morphologisches Wunderwerk“ aus zweimal Geest und einmal Marsch. Nur mit der Zuwendung zum Wasser hapere es noch immer: Die Verbauung des schönen Elb-Sandstrands zur Sicherung gegen Erosion sei unnötig und verwechsle den Strom mit dem Mittellandkanal. Die Zuwendung Harburgs zur Elbe werde halbherzig betrieben und noch immer müsse sich Hamburg vor Amsterdam schämen, weil es so wenig aus seinen Fleeten und Beken mache.

Andererseits könne Hamburg mit dem Pfund eines lebendigen Hafenareals wuchern. Marg: „Jedes Schiff, das tief in den Hafen fährt, ist ein Segen für die Hafenpsyche.“ Die – von ihm selbst entworfenen – Produktionshallen für den Riesen-Airbus A380 könnten eine ähnliche Attraktion werden wie der Containerhafen und die Werften.

Dass Margs Generalthema noch immer aktuell ist, zeigte ein Diskussionsbeitrag des heutigen Oberbaudirektors Jörn Walter: Aufgabe der jetzigen Generation sei es, der Stadt ein neues Gesicht zur Elbe hin zu geben. „Diese Generation arbeitet an einem Schlüsselthema“, behauptete er. Um dieses zu bearbeiten, bedürfe es einer neuen Architektur und neuer Nutzungen. Positive Beispiele seien die Schweiz und Spanien, deren ArchitektInnen in den vergangenen 20 Jahren aus dem jeweiligen Eigenen eine neue Archtitektursprache entwickelt hätten.

Es wurde erst gar nicht diskutiert, ob die in den 80er und 90er Jahren gebauten Schiffsbüge, Bullaugen und Segel – heute in der Regel Gegenstand hämischer Bemerkungen – Teil einer solchen Sprache sein könnten. Gleichwohl muss der maritime Bezug auch heute noch zur geistigen Untermauerung vieler Neubauten am Hafenrand herhalten: vom provisorischen Kreuzfahrt-Terminal aus Containern über den an Stahlträgern aufgehängten Bürobau von BRT am Sandtorkai bis zum Campus am Elbhang mit seinem Schiffsdeck.

Diese Beispiele erfüllen in unterschiedlicher Weise einige der Forderungen an eine gelungene Architekur, die bei den bisher drei Diskussionsabenden erhoben wurden: „Was ist an einem bestimmen Standort das angemessene Bauen?“, fragte der Kunsthistoriker Hermann Hipp und nannte als positives Beispiel die geplante Elb-Philharmonie in der Hafencity. Diese soll gläsern und schwebend auf einen gigantischen, backsteinernen Kaispeicher gesetzt werden. Hiermit würde, dem Zeitalter von MP3-Dateien angemessen, digitalisierte Musik aufs Podest gehoben, interpretierte der Professor.

Die Form der Bauten solle deren Inhalt anverwandelt werden, forderte Hartmut Frank, der an der HfBK einen Lehrstuhl für die Analyse gebauter Umwelt innehat. Der ehemalige Stadtentwicklungssenator Wilfried Maier goss das in die Frage, was denn der Sinn von Gebäuden sei, die zwar unterschiedlich aussehen, aber die gleiche Funktion erfüllen?

Hipp ging in seinem Vortrag von den drei Dimensionen gebauter Umwelt – Material, Funktion und Bedeutung – aus. „Die gelingende Darstellung von Bedeutung“ sei im Zweifel das Schöne. Die Architekten bat er, nicht die Materialwahl und die Typologie in den Vordergrund ihres Schaffens zu rücken, sondern „nach der eigentlichen Bedeutung, der leitenden Idee“ zu fragen. Inwiefern ein Reise-Terminal, der auf den Welthandel verweist, ein Bürohaus mit Containerbrücken-Touch und Lofts mit Deck für den Hafenblick dieses Kriterium erfüllen, mag jeder für sich selbst beantworten.

Hipp stellte beispielhaft „Inbegriffe der Hamburgizität“ vor – die weißen Häuser, den Backstein, die Kirchtürme – verzichtete aber darauf, durchzudeklinieren, ob und warum sie Bedeutung gelingend darstellen. Seine Beispiele legen jedoch den Schluss nahe, dass ihnen ihre Bedeutung erst im Nachhinein zugeschrieben wurde. „Hanseaten hielten von Hansen nichts“, fasste Hipp die zeitgenössische Kritik an den Villen an der Elbchaussee und ihrem herausragenden Architekten in ein Bonmot. Auch um die Backsteinfassaden der Speicherstadt habe es eine große Kontroverse gegeben. Warum wir uns am romantischen Charakter der mittelalterlich verzierten Speicher freuen, blieb offen.

Das Ensemble der Kirchtürme, die nach weit verbreiteter Meinung auch in Zukunft die Silhouette der Stadt bestimmen sollen, ist in den Augen des Kunsthistorikers „ein Symbol für die liberale Vielfalt freier Bürger“. Eine Möglichkeit, Hamburgs Skyline schön zu finden. Eine andere bestünde im Verweis darauf, dass diese Skyline so aussieht wie auf einem frühneuzeitlichen Stich von Merian und damit Assoziationen zu einer weit zurückreichenden Geschichte weckt. In beiden Fällen ist es der zugeschriebene geistige Gehalt, der über das Empfinden von Schönheit bestimmt.

Als Beispiel durfte natürlich die Backstein-Architektur des wegweisenden Oberbaudirektors Fritz Schuhmacher aus den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts nicht fehlen. Sie kann als zusätzlicher Beleg für eine These Franks angeführt werden: „Der genius loci ist etwas, das geschaffen werden muss.“ Man kann also Hamburg, oder eben das, was hier neu gebaut werden soll, neu erfinden, muss dafür aber eine gemeinsame Linie entwickeln. Damit stellt sich wieder die Leitfrage des Architekturclubs: „Wie sollen wir Hamburg bauen?“

Neben den indirekten Antworten gab es Vorschläge zum Verfahren. Frank bekannte, er wolle „das Verständnis von der Stadt als kollektivem Kunstwerk“ beleben. Dazu müssten die Architekten allerdings auch mal darauf verzichten, sich gegenseitig zu übertrumpfen und sich der Stadtplanung fügen. Einen Seitenhieb konnte er sich nicht verkneifen: „Möglicherweise haben Stadtplanung und Architektur doch mehr miteinander zu tun, als diejenigen glaubten, die in Harburg eine Stadtplanung fern der Architektur etablierten“, stichelte Frank.

Volkwin Marg brach eine Lanze für Gestaltungssatzungen: „Es ist leichter, gegen Widerstand etwas durchzusetzen als wabbelig im Freien“, formulierte er paradox. Es sei wie in einer Familie. Die brauche „starke Eltern, die lieben“ – und Architekten etwas, an dem sie sich abarbeiten können. Walters Einwand, er habe wegen der Macht privater Projektentwickler viel weniger Gestaltungsmöglichkeiten als sein Amtsvorgänger Schuhmacher, wollte Marg nicht gelten lassen: „Sie sind ja eine wandelnde Gestaltungssatzungsordnung.“ Das habe er beim Planen der Kibbelsteg-Brücke in die Hafencity am eigenen Leib erfahren.

Das Spektrum an zur Verfügung stehenden Architekten, Materialien und Techniken sei heute ungleich größer als zu Schuhmachers Zeiten, konterte Walter. Die Frage laute: „Findet man diskursiv eine gemeinsame Sprache?“ Er traf sich hier mit Hipp, der die öffentliche Kontroverse zum Charakeristikum Hamburgs erklärte. „Die Beteiligung am offenen Gespräch, das wird in diesem Stadtbild sichtbar“, rief er emphatisch. Das Rathaus – von Hipp geliebt – und das Chilehaus – von Hipp gehasst – seien meisterhafte Erzeugnisse diskursiver Planungskultur. „Das, wo wir uns gelingend, unsere Wünsche erfüllt sehend, wiederfinden, finden wir schön“, sagte der Kunsthistoriker. Bei verschiedenen Menschen sei das freilich Unterschiedliches. Hipp: „Wir können nur ein Gefühl dafür entwickeln, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, etwas schön zu finden.“

Kossak zufolge hat diese Debattenkultur stark gelitten. „Das, was mich in den letzten 20 Jahren am meisten beschäftigt hat, ist, dass die Politik nicht diskutiert hat“, klagte der ehemalige Oberbaudirektor. In dieser Zeit sei er nur ein einziges Mal in eine Fraktionssitzung (der CDU) eingeladen worden. Er habe noch kein einziges politisches Programm gesehen, das sich mit der Hafencity als Lebensraum befasst habe. Es gelte, die Politiker herauszufordern. Kossak: „Was wir brauchen, ist eine aktive Diskussion über ein solches Projekt!“

Die kürzlich gehypete Debatte über Stahl- und Glasarchitektur sei der Vielfalt der Stadt allerdings nicht würdig, befand Hipp. „Es geht nicht um Backstein oder Glas, sondern um das Gespräch darüber.“ Dieses erzeuge eine Gemeinschaft über alle Vielfalt hinweg. Er zitierte einen Spruch von Saint Juste, der an der Kunsthalle steht: „Heimat ist nicht das Land, sondern die Gemeinschaft der Gefühle seiner Bewohner.“