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Was ist das, was bringt das, was kostet das? Eine Handreichung:
1. Die Bürgerversicherung – kann man die in 20 Sekunden erklären?
Hier ein Versuch: Als Prinzip meint „Bürgerversicherung“, dass nicht nur Arbeiter und Angestellte, sondern alle in eine Sozialversicherung einzahlen, sei es bei der Rente, sei es bei der Gesundheit. Die gegenwärtige Debatte dreht sich aber nur um die Zukunft der Krankenversicherung. Hier heißt Bürgerversicherung, dass alle Berufsgruppen – also auch Beamte und Selbstständige – und alle Einkommensarten – also auch Miet- und Zinseinkünfte – einbezogen werden. Die Einnahmebasis der Krankenkassen soll damit verbreitert werden.
Dabei soll es aber gemäß der gegenwärtigen Diskussion unter dem Oberbegriff „Bürgerversicherung“ nach wie vor mehrere gesetzliche und private Krankenkassen geben. Nur sollen diese allen offen stehen. Es wird dann einen finanziellen Risikoausgleich zwischen Privaten und Gesetzlichen geben. Zusatzversicherungen gibt’s weiterhin bei den Privaten.
2. Ist die Bürgerversicherung also nur eine neue Zwangsversicherung für alle, oder sorgt sie für gerechtere Umverteilung ?
Um das klarzustellen: Die Versicherten in den gesetzlichen Krankenkassen, also 90 Prozent aller Versicherten in Deutschland, sind heute schon in einer „Zwangsversicherung“. Sie können nicht in eine private Krankenkasse wechseln, wenn ihr Verdienst unter der Versicherungspflichtgrenze von 3.825 Euro liegt. Wenn diese Grenze fiele, würde die Bürgerversicherung also wohl nur von den 10 Prozent der Bürger als „Zwang“ empfunden, die als Beamte, Selbstständige oder Hochverdiener heute in einer Privatkasse versichert sind – oft zu besseren Konditionen, als die gesetzlichen Kassen sie bieten. Die Konditionen der Privatkassen würden im „Bürgerversicherungs-Modell“ denen der gesetzlichen Kassen angeglichen: Etwa müssten die Privaten so wie die Gesetzlichen dann jeden nehmen – auch Behinderte und Kranke.
3. Werden die Krankenkassenbeiträge dann niedriger ?
Nicht unbedingt – denn mehr Einzahler verursachen ja auch mehr Kosten. Aber grundsätzlich führt eine Lastenverteilung auf mehr Einzahler und mehr Einkommen zur Erleichterung für die Kassen und damit für die Beiträge. Aktuelle Schätzungen rechnen mit Beitragssenkungen von ein oder zwei Prozentpunkten. Sollten jedoch die Ausgaben und dadurch auch die Beiträge steigen, müssten die Arbeitnehmer mehr bezahlen – jedenfalls nach dem Vorschlag des Grünen Joschka Fischer. Laut Fischer soll der Arbeitgeberbeitrag zu den Krankenkassen bei etwa 6,5 Prozent gedeckelt werden. Das bedeutet, dass alle Beitragserhöhungen dann nur noch von den Arbeitnehmern getragen werden.
4. Werden die Gesundheitsleistungen in einer Bürgerversicherung besser oder schlechter?
Grundsätzlich hat die Qualität der medizinischen Versorgung nichts mit der Art zu tun, wie die Krankenversicherung finanziert wird. Was die Kassen bezahlen, wird im medizinischen Leistungskatalog gesetzlich festgelegt. Der Katalog schrumpft jedoch, wenn die Finanzierung der Kassen wackelt. Deswegen ist es wichtig, die Finanzierung der Kassen auf festere Füße zu stellen. Die Bürgerversicherung gilt hierfür als ein Weg.
5. Ist der Vorschlag einer „Bürgerversicherung“ überhaupt ein realisierbares Modell für die Zukunft oder bloß ein politischer PR-Gag?
Eine Bürgerversicherung wäre die größte Sozialreform, die die Republik bislang erlebt hat. Man kann die politischen Widerstände und die rechtlichen Probleme daher gar nicht überschätzen, die dafür überwunden werden müssten. Deshalb wäre es schon viel, wenn Rot-Grün sich bis zur Wahl 2006 auf ein Modell festlegen und damit in den Wahlkampf ziehen würde. Eine Entscheidung fiele dann unter Umständen nach der Wahl. Sie müsste Übergangsfristen enthalten, die bis zu 30 Jahre dauern – man denke nur an die grundgesetzlich geschützten Ansprüche der heutigen Beamten.
Und eins ist klar: Selbst wenn man die Einnahmebasis der Krankenkassen ein bisschen verbreitern würde, hätte man damit noch nicht die Probleme der wachsenden Ausgaben gelöst. Nach wie vor müssten Kosten reduziert werden. Wer die „Bürgerversicherung“ somit für eine schmerzfreie Lösung der Probleme in der Gesundheitsversorgung sieht, der ist einem PR-Gag aufgesessen.
6. Muss man als Linke/r die Bürgerversicherung gut finden?
Einerseits, andererseits. Es gibt „linke“, aber auch „arbeitgeberfreundliche“ Elemente in der Bürgerversicherung nach dem Modell der Grünen. Von einem linken Standpunkt aus ist es zu begrüßen, künftig auch Miet- und Zinseinkünfte, sprich: Kapital zur Berechnung der Beitrage heranzuziehen. Dann müsste man allerdings auch die Beitragsbemessungsgrenze von jetzt 3.450 Euro erhöhen, um Gutverdienende stärker zu belasten. Wenn man alle Einkommen nur bis zu 3.450 Euro belastet, sind die Gutverdiener mit Kapital wieder fein raus, während die Schlechterverdiener ihre Kapitaleinkünfte „verbeitragen“ lassen müssen. Das von Fischer vorgeschlagene Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge hingegen verletzt linke Verteilungspositionen. Es belastet einseitig die Arbeitnehmer.
Letztlich gilt: Die Umverteilungseffekte einer „Bürgerversicherung“ berühren auch viele privat versicherte Selbstständige und Beamte aus linksliberalen Milieus – und da wird die Diskussion noch spannend.
BARBARA DRIBBUSCH ULRIKE WINKELMANN