piwik no script img

Archiv-Artikel

Hart, Härter, Hartz

Die Hartz-Reform ist richtig, sagt die Regierung. Leider kommt diese Botschaft nicht an. Deshalb soll der Begriff „Hartz“ nun abgeschafft werden. Aber was wäre die Alternative? Eine Begriffserkundung

VON CHRISTIAN SEMLER

Endlich und unter dem Druck des Massenprotests haben Müntefering und Schröder sich dazu verstanden, der Parole „Hartz muss weg!“ Folge zu leisten. Nicht die Maßnahmen im Rahmen von Hartz, insbesondere Hartz IV, sollen allerdings verschwinden, sondern der Begriff ist es, von dem nach der Meinung des Kanzlers wie des SPD-Chefs die schädlichsten Wirkungen ausgehen. Er darf ab jetzt bei der Überzeugungsarbeit nicht mehr verwendet werden. Denn, so Müntefering gegenüber Bild, „der Begriff ‚Hartz‘ sagt nichts zum Inhalt und führt zu Missverständnissen. Wir müssen den Menschen klarer machen: Es geht uns um die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit.“

Gibt es wirklich bei „Hartz IV“ zwischen Begriff und Inhalt keine Entsprechung? „Hartz“ hat sich keineswegs zufällig in den Sprachgebrauch der SPD-Gewaltigen eingeschlichen, es ist vielmehr konsequenter Ausdruck ihrer Denkweise und ihres Politikstils. Von Anfang seiner Regierungszeit an hat Schröder die Klärung der wichtigsten sozialpolitischen Komplexe aus dem Diskussionszusammenhang des Parlaments, eigentlich sogar der interessierten Öffentlichkeit ausgelagert und sie „Sachverständigengremien“ und Experten zur Bearbeitung übergeben. So verwandelten sich Gesundheits-, Renten- und jetzt Arbeitsmarktpolitik in Materien, die scheinbar objektiv, wissenschaftlich und interessenunabhängig ihrer bestmöglichen Lösung zugeführt wurden. Rürup, der Rentenprofessor, und Hartz, bundesweit anerkannter VW-Sozialexperte und Arbeitsdirektor – sie werden es schon am besten wissen.

Der Schein sachverständiger Objektivität täuscht über die unbefragten Grundannahmen hinweg, die auch den Vorschlägen von Hartz vorgelagert sind. Politik, das ist nicht mehr die Wahl zwischen halbwegs gut begründeten Programmen und Wertentscheidungen, sondern ergibt sich quasi automatisiert aus der Expertenanalyse.

Deshalb auch der Name „Hartz“ als Gütesiegel, ein Signal an das Publikum für harte Wertarbeit „made in Germany“. Ein Name, der das Problem durchleuchtet wie die Röntgen-Strahlen den Körper. In diesen Zusammenhang gehört auch die Bezifferung der einzelnen Bestandteile der Hartz-Vorschläge I bis IV, ganz so, als ob es sich hier um ein in sich logisch zusammenhängendes Programm handeln würde, dessen Monumentalität und eherne Folgerichtigkeit noch durch die Verwendung römischen Zahlen unterstrichen wird. Sicher, „Hartz“ hat Härten, aber an seiner Richtigkeit kann kein vernünftiger Zweifel bestehen. Und die Vernunft wird siegen, möge die SPD auch zeitweilig untergehen. So die Selbststilisierung führender SPDler als Heroen der Aufklärung.

Leider, leider ist die Botschaft nicht angekommen, ja hat sich in ihr Gegenteil verkehrt. Von den Betroffenen wird Hartz, insbesondere Hartz IV, zu einem einheitlichen, seelenlosen bürokratischen Monstrum synthetisiert, als Inbegriff des Schadens und der Schande für eine Partei, die doch 1998 unter dem Schlachtruf „Innovation und Gerechtigkeit“ angetreten war. Jetzt sind die Regierung wie die SPD Gefangene einer nur eingebildeten Gesamt-Rationalität des Projekts „Hartz IV“, jetzt darf daran nichts um- und eingebaut werden, denn sonst bräche dieses großartige Gebäude in sich zusammen.

Was wäre die begriffliche Alternative zu „Hartz“? „Schröders Sozialreform“ in Anlehnung an Bismarcks Unternehmen? Zu hoch gegriffen, um nicht allgemeinem Spott zu verfallen. „Reformen am Arbeitsmarkt“? Zu blass, zu kalt, zu wenig vom positiven Inhalt, dem „Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit“ kündend. „Fördern und Fordern“? Klingt gut, weil autoritär-pädagogisch und außerdem mit alliterativem Wohlklang versehen, scheitert aber daran, dass arbeitsförderliche Maßnahmen dort ins Leere gehen, wo nicht der klitzekleinste, schlechtbezahlteste Job angeboten wird.

Hätten doch die Linguisten des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung mehr auf die tückisch-unbeständige Beziehung zwischen Bedeutendem und Bedeuteten geachtet. Jetzt bleibt Béla Anda, dem Chef dieser Behörde, nur die resignierte Einsicht, dass es für Münteferings und Schröders Sprachregulierungen zu spät ist. Der lautmalerische Anklang von Hartz an hart und Hatz hat sich bereits der Demonstrierenden bemächtigt. Daher, so Anda, kann die Devise nur lauten: Da müssen wir durch! Und können sich Regierung und Partei nicht mit der Gewissheit trösten, dass die Sozialdemokratie ein weiteres Mal ihrer Berufung nachgekommen ist, in schweren Zeiten ihre Klientel mit bitterer Medizin zu traktieren?