: Die letzte Volkspartei
Die CSU wird am Sonntag in Bayern mal wieder die Wahl gewinnen. Scheitern kann sie nur an sich selbst. Ob der Sieg auch ihren Einfluss in der Union steigern wird, ist ungewiss
I. Die Wahl in Bayern wird so spannend wie eine Oscar-Verleihung mit nur einem Nominierten pro Kategorie. Wenn übermorgen der schwarze Balken auf den TV-Schirmen um 18 Uhr, 0 Minuten und 3 Sekunden über die 60 Prozent klettert, wird auch aufgeklärten Demokraten anschaulich gemacht, dass Mehrheit nicht zwangsläufig etwas Relatives sein muss und dass man mit flächendeckenden Schafskopfturnieren langwierigen Koalitionspoker vermeiden kann. Das sagt viel über die CSU, aber mehr noch über ihre Gegner.
Die SPD plakatiert in Bayern die Angst vor der schwarzen Zweidrittelmehrheit. Dieses Plakat folgt der Logik, dass zwei Drittel der Bayern eine Zweidrittelmehrheit der CSU ablehnen. Die SPD führt also Wahlkampf auf einer metademoskopischen Ebene. Und macht ihre Schwäche zum Slogan.
Viel cleverer die Grünen. Sie waren in den letzten fünf Jahren die substanziellere Opposition, sie verstehen es auch hervorragend, sich eher als politische Kraft neben der CSU als gegen die CSU zu profilieren.
Beide Oppositionsparteien wissen genau, dass das Ende der CSU-Dominanz nur durch die CSU eingeleitet werden kann. Nur eine durch Machtüberschuss ausgelöste und durch hinterfotzige Unmoral ins Gigantische gesteigerte Affäre kann die CSU gefährden. Die Eskapaden der Max Strauss & Tandler und die strukturelle Ignoranz gegenüber der BSE-Gefahr legen schon die Spur.
II. Die CSU in Bayern ist wahrscheinlich Deutschlands einzige Volkspartei. Aber eben in Bayern und nicht in Deutschland. Und dafür nimmt sie in Kauf, dass die Union als Ganzes vielleicht nie mehr Volkspartei sein kann. Denn um die bayerische Identität zu festigen, treten die Granden der CSU in Berlin, vor allem gegenüber der CDU, in der unangenehmen Klassenstreber-Rolle auf, die der Union in Recklinghausen oder Wismar das Geschäft nicht leichter macht. Edmund Stoibers Kanzlerkandidatur war noch der hilfreichste Beitrag: Weil Stoiber verlor, wirkte die CSU Ende 2002 fast wie eine ganz normale Partei.
In den nächsten Tagen wird sie nun aber wieder mit aufgepumpten Muskeln in Berlin antreten und diffus mehr Einfluss verlangen. Wieder wird die CSU der CDU einzutrichtern versuchen, man müsse nur alles so machen wie die CSU, um erfolgreich zu sein, und wieder wird im Rest der Union zu Recht die Frage geflüstert werden, was eine Staatspartei, deren politisches Einfühlungsvermögen nördlich von Unterfranken gegen null tendiert, einer Organisation zu sagen hat, die in NRW oder Mecklenburg-Vorpommern im echten Wettbewerb steht.
Je absonderlicher das Ergebnis für die CSU in Bayern ausfällt, umso weniger taugt es deutschlandweit als Argument für eine erneute Kanzlerkandidatur des CSU-Chefs. Oder in dessen eigener Metaphorik: Dreimal hintereinander Torschützenkönig in der Bayernliga gewesen zu sein, reicht nicht, um Kapitän der Nationalelf zu werden. Hat sich die CSU also nun zu Tode gesiegt?
III. Der CSU bleiben mindestens drei bundespolitische Rollen, die sie nach einem neuerlichen Sieg ausfüllen könnte.
Erstens: als Präsidialpartei. Wer nach einem Wahlkampf 60 Prozent der Bayern hinter sich versammelt und ja auch schon fast Bundeskanzler war, der, so könnte sich Stoiber denken, der hat das Zeug, die Deutschen als Bundespräsident zu repräsentieren, aber auch auf den Modernisierungsgebirgspfad zu führen. Aber daraus wird nichts. Entweder Angela Merkel leiert der FDP und den Grünen Stimmen für Klaus Töpfer aus dem Kreuz, was nicht so schwer sein dürfte, oder Rita Süssmuth wird mit einer Hand voll klammheimlicher CDU- und FDP-Stimmen Präsidentin, was – außer für die CSU – ja auch nicht so schlimm wäre. Bundeskanzler, Ministerpräsident und Bundespräsident werden wollen, und das alles innerhalb von einem Jahr. Kindern mit einem solchem Wunschzettel sagt man zu Recht: Such dir eines aus! Das wäre dann Ministerpräsident. Ohne Kanzlerkandidatur wäre Stoiber vielleicht tatsächlich präsidiabel gewesen.
Zweitens: als Föderalismuspartei. Dass die organisierte Unverantwortlichkeit aller politischen Ebenen durch Entflechtung von Zuständigkeiten und Gestaltungsfeldern in einen echten Konkurrenzföderalismus überführt werden muss, ist endlich Commonsense. Wer in Berlin regiert, soll die eigene Mut- oder Ahnungslosigkeit nicht mit der andersfarbigen Bundesratsmehrheit übertünchen dürfen. Wer in Kiel, Saarbrücken oder eben München regiert, soll mangelnde landespolitische Autonomie nicht mit bundespolitischer Kraftmeierei kompensieren müssen. Wer wüsste das besser als die CSU?
Der übertalentierte Finanzminister Faltlhauser könnte eine feine neue Finanzverfassung zimmern. Roman Herzog, der derzeit Herrn Rürup hinterherarbeitet, könnte das Grundgesetz entsprechend justieren, und von Kiel bis Konstanz wären alle froh, und in allen Landeshauptstädten würde ein CSU-Gedenkstein errichtet. Nun ja, die zweitbeste Möglichkeit.
Drittens: als Arbeitnehmerpartei. Für die SPD scheinen arbeitende Menschen nur noch Lohnnebenkostenverursacher zu sein. Damit die aus dem Kanzleramt ventilierten neoliberalen Kalendersprüche – ohnehin „ohne Alternative“ – nicht mit dem ehernen Parteiprogramm kollidieren, werden ideologische Haltegriffe wie „demokratischer Sozialismus“ im Orwell’schen Gedächtnisloch entsorgt. Utopien ohne Begriffe kann bald niemand mehr denken.
Während aber in der SPD die von der CDU beachteten Schranken gegen den Sozialabbau längst unter- oder überspült sind, herrscht in Bayern ein Menschenbild, im dem Personen nicht nur Faktoren im Produktionssystem sind. Das ruft immer dann Unverständnis und Abscheu hervor, wenn die CSU etwa in Lebensstilfragen in die Schlafzimmer hineinregiert wie sonst nur Ikea. Aber spiegelt die Toleranz der SPD in Lebensstilfragen nicht in Wahrheit völlige Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben wider, das sich außerhalb der Produktionseinheiten abspielt?
Dort befinden sich übrigens auch die Arbeitslosen. In Bayern ruft selbst die drohende Schließung eines Zeitungskiosks den Wirtschaftsminister auf den Plan. Hier gab es einen funktionierenden sozialpartnerschaftlichen Beschäftigungspakt, der im Bund noch immer in den Wiedervorlagemappen von Schröders Spindoctors liegt. Die CSU hat mit Alois Glück, Thomas Goppel und Horst Seehofer noch Politiker, die mit der katholischen Soziallehre groß geworden sind. Nicht zufällig hatte man bei Seehofers Auftritten mit Ulla Schmidt immer den Eindruck, dass nur ein sozialer Demokrat im Bild steht und dass der nicht aus Aachen kommt?
60 plus x Prozent. Da müssen wohl auch ein paar Menschen dabei sein, für die eine höhere Erbschaftsteuer keine Ungerechtigkeit darstellt. Für eine Gerechtigkeitspartei wäre in Berlin viel Platz. Mit 60 plus x kann man eine Menge Vernünftiges anstellen. Oder weiter herumpoltern, dass es daheim eine rechte Freude ist. MARKUS SCHUBERT