: Der Bund der Bourgeoisie
Wie aus dem spaßigen Abkommen von zwölf Jung-Unionisten mit den Jahren ein echter Machtfaktor innerhalb der CDU wurde
aus HannoverKai Schöneberg
Die Hitze, ein pickepackevoller Terminkalender, der Jetlag. Die 12 Mitglieder der Jungen Union (JU), die sich im Juli 1979 auf große Tour nach Lateinamerika aufmachten, müssen ganz schön geschwitzt haben. Venezuela, Chile, Argentinien, Brasilien in zwei Wochen. „Und warum soll man in Rio nicht auch mal gucken, ob es da schöne Mädchen gibt“, fragt sich Bernd Sumbel, damals 31 und Landesgeschäftsführer der Bremer Jungen Union, noch heute. Aber der Delegationsleiter, ein gewisser Matthias Wissmann, damals JU-Chef, später Verkehrsminister und „ein bisschen ein Hektiker“, sah das anders und trieb seine Youngster zum Händeschütteln über den Kontinent.
Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung hatte den straffen Terminplan eingetütet, Schwesterparteien mussten besucht, deutsche Emigranten umflort werden. Nicht alles hochkarätige Termine. „Es war eher eine Strapaze. Deshalb war da ganz schön Dampf in der Delegation“, erinnert sich ein Teilnehmer. Klar, dass alle mitmachten, als die JU-Truppe nachts und in Whiskeylaune auf dem Flug von Caracas nach Santiago de Chile einen Protestbrief aufsetzte. „Bernd Sumbel, Directór Portuario, Hafendirektor“, unterschrieb der Bremer auf eine Serviette der venezolanischen Fluggesellschaft Viasa. Darüber stand das Manifest des Andenpakts. „Die Lage ist ernst“, kritzelten die JUler, als die Maschine gerade die Gebirgskette überflog. „In Sorge um die hochkarätig besetzte Delegation und zum Schutz der Gesundheit schließen wir uns hiermit zum Pacto Andino Segundo zusammen.“ Der Andenpakt war geboren.
Aus dem Unmut der Jung-Unionisten von einst ist im Sommer eine veritable Spiegel-Geschichte geworden. Der Andenpakt – stand dort zu lesen – ein klandestiner Gegenpol zur in der Partei isolierten Chefin Angela Merkel, habe sich aus dem Spaßbündnis von einst entwickelt. Christian Wulff, Roland Koch, Peter Müller – heute allesamt CDU-Ministerpräsidenten – und andere seien mit den Jahren beigetreten und hätten gleichsam durch ein Hintertürchen ihre Macht ausgespielt, schlimmer noch: die Kanzlerkandidaten-Frage im letzten Jahr gegen Merkel und für Edmund Stoiber entschieden.
Eiserne Regel der „Geheimloge“: Ob Spendenskandal oder noch schlimmere Rankünen, egal wieviel Dreck am Stecken die Männerbündler haben – keiner beschädigt den Anderen öffentlich.
Vielleicht stimmt das alles – und es wäre doch auch gar nicht so abwegig. Mehr noch: Eigentlich wären die seit Jahrzehnten bekannten CDU-Chefs auch schön blöd, wenn sie sich nicht ab und an mal absprächen, zur K- und anderen Fragen. Und zwar ohne es gleich nach draußen zu posaunen. Deshalb reden Andenpaktler naturgemäß nicht gerne über Partei-Sperenzchen. Wer Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff also heute fragt, ob der Pakt auch schon die P-, die Präsidentenfrage geklärt habe, bekommt zur Antwort: „Da mache ich doch schon seit langem nicht mehr mit“. Weitere Spekulationen offen.
„Männerloge, Geheimbund – das ist doch völlig abwegig“, findet Bernd Huck, der damals im Flieger den Kuli führte und sich deshalb El Secretario General nannte. Huck ist noch heute Generalsekretär des Andenpakts – und damit auch derjenige, der die Treffs des feinen Unions-Clübchens organisiert.
Bernd „Hucki“ Huck, Wirtschaftsanwalt und lange Zeit Strippenzieher bei der CDU in Braunschweig, führt die Geschäfte des JU-Vereins von einst jetzt seit 24 Jahren. Er sagt: „Das war doch nur ein Witz damals.“ Für einen Witz hat sich der Generalsekretär dann doch mächtig ins Zeug gelegt. Es gab eigene Briefköpfe, entworfen „von einem Mitglied, das ich jetzt nicht näher benennen möchte“, auf denen er zu den jährlichen Treffs einlud, es gab sogar gelb-rote Andenpakt-Buttons. Aber: „Es gab keine Regeln, weder schriftliche noch mündliche“, betont Huck.
Dafür entstand wohl eine wachsende Nähe der Leute, die man einst „die jungen Wilden“ nannte – heute gehören sie zum Spitzenpersonal der CDU. Der Andenpakt stellt die Bosse der Post-Merkel/Stoiber-Union: Neben den Ministerpräsidenten sind das Franz Josef Jung, Günther Oettinger und Christoph Böhr, allesamt Fraktionschefs ihrer Partei in Hessen, Baden Württemberg und Rheinland-Pfalz. Außerdem paktieren Elmar Brok, für die CDU im Europäischen Parlament, Friedbert Pflüger, außenpolitischer Sprecher im Bundestag oder der hessische Innenminister Volker Bouffier.
Auf ein erstes Nachtreffen der Südamerika-Clique auf einem Bauernhof bei Lüneburg folgten regelmäßige Tete-a-tetes. Einmal im Jahr trafen sich die Paktierer für ein langes Wochenende im Ausland, auch in Damenbegleitung: Mal ging es nach Isny im Allgäu, mal nach Südafrika, mal nach Taiwan, dann nach Israel. Es gab eine Einladung vom König von Spanien und von Jaques Chirac, als der noch Bürgermeister von Paris war. „Wir haben fast alle Hauptstädte Europas besucht“, sagt Huck. Zuletzt waren sie in Madrid.
„Über die Präsidenten-Frage haben wir dort nicht mal am Rande gesprochen“, betont Huck. Über die K-Frage sagt er wenig. Klar habe man das debattiert – „aber wer hat das nicht?“, fragt der General mit Unschuldsmiene. Stattdessen erzählt er lieber über „wilde Diskussionen“ zur Senioren-CDU. Oder über den EU-Beitritt der Türkei. Huck: „Da haben wir uns bei der Asienreise wahnsinnig in die Wolle gekriegt“.
Der diskrete Club der Bourgeoisie habe sich nicht zum echten Machtfaktor innerhalb der CDU entwickeln können, „weil die Ideen der Teilnehmer zu unterschiedlich sind“, insinuiert Huck. Viele Mitglieder, ob Koch oder Wulff, verträten „zum Teil völlig unterschiedliche Interessen“. Da gebe es „Leute, die Merkel näher stehen, andere nicht.“ Und auch Leute wie Koch und Wulff, die beide gegen Angela Merkel zum Wahljahr 2006 in die Kanzler-Bütt steigen könnten.
Aber darüber will der Generalsekretär jetzt besser nicht weiter spekulieren. Er sorgt sich lieber über Ziel und Zeit des nächsten Ausflugs des Andenpakts. Zwei Termine im Mai und Juni 2004 sind ins Auge gefasst: An einem Wochenende ist die Wahl des Bundespräsidenten, am anderen Europawahlen. „Das wird verdammt eng“, sagt der Generalsekretär.