Feindbilder

Feinde finden tut gut. Wenn man die Welt in Gut und Böse aufteilt, wird alles so schön übersichtlich. Gemeinsame Feinde machen Freunde. Und es ist einfach herrlich, mal richtig wütend sein zu können. Wer sich glänzend zum Hassen eignet – eine unrepräsentative Auswahl:

Kassiererinnen. Wenn ich die leeren Flaschen mit dem großen aufgedruckten Nettozeichen zurückbringe und die Kassiererin sagt: „Eigentlich brauchen wir zur Identifizierung noch den Kassenbon. Eigentlich kann ich das so nicht zurücknehmen.“

Anrufbeantworter. Wenn ich zum zwölften Mal innerhalb der Sprechzeiten bei einer Behörde anrufe, oder beim Zahnarzt oder einem Kreditinstitut, und die Stimme vom Band mir ins Ohr flötet, ich würde außerhalb der Sprechzeiten anrufen.

Kellner. Wenn ich ihm seit zwanzig Minuten dabei zusehe, wie er zärtlich den Tresen reinigt, ohne sich durch meine Ankunft im Mindesten gestört zu fühlen. Wenn ich ihm dann freundlich sage, dass ich etwas bestellen möchte. Wenn er daraufhin nahezu verstört von seinem Putzlappen aufblickt und mich anschnautzt: „Sie sehen doch, dass ich hier zu tun habe.“

Verkäuferinnen. Wenn ich in der Boutique eine Bluse anprobieren möchte. Wenn die Verkäuferin mir dieselbe mit entsetztem Blick aus der Hand reißt: „Die ist Ihnen ganz sicher zu eng. Die passt ja nicht einmal mir.“

Nachbarn. Wenn der Mann von gegenüber um drei Uhr nachts Lust auf Techno bekommt. Wenn er nie auf die Idee kommt, mich wenigstens nach meinem Musikgeschmack zu fragen.

Der Winter. Wenn der Wind durch die Straßenschluchten rennt und ich genau weiß: Er hat seine Koffer schon gepackt. Er wird uns besuchen. Es ist seine Lieblingsstadt. Er wird lange bleiben.

Auto, vierzehn Jahre alt. Weil es immer dann nicht anspringt, wenn ich es eilig habe. Wenn es sich in der Reparatur böswillig verstellt und der Mechaniker mich mitleidig ansieht und sagt: „Alles in Ordnung. Sie dürfen ihn natürlich nicht absaufen lassen.“

BVG-Kontrolleure. Wenn man als Fahrgast ohne gültigen Fahrschein den Wagon betritt und ihn als Schwerverbrecher verlassen muss.

Spaghetti, hundsteure. Wenn sie schon nach vier Minuten nicht mehr al dente sind und nach sechs nur noch ein zäher Teigklumpen.

Die Bahn. Wenn ich eine Woche vorher eine Fahrt in einem ganz bestimmten Zug buche, um Frühbucherrabatt zu erhalten. Wenn ich trotzdem ohne zusätzliche Reservierung keinen Sitzplatz bekomme.

Lebkuchenverkäufer. Wenn sie schon nach dem Sommerurlaub ihr Wintergebäck feilbieten. Wenn sie den Herbst dadurch mit grausamer Nichtbeachtung strafen.

Spiegel in Umkleidekabinen. Wenn er mir vor dem Kauf vorgaukelt, ich sähe in der Jeans aus wie eine langbeinige Gazelle. Wenn ich zu Hause feststelle, dass es doch eher die Blutwurst ist, der ich ähnele. CLAUDIA LEHNEN