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Archiv-Artikel

Gretchenfrage 2.0

Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) lädt im Internet zur Diskussion über die künftige Gestaltung des Religionsunterrichts. Die Debatte die sie sich wünscht „ist offen, aber nicht zu offen“

EIN KAMPF NOCH AUS DER KAISERZEIT

Zu heftigen Auseinandersetzungen um den Religionsunterricht kam es in Bremen bereits Anfang des 20. Jahrhunderts: Damals kämpfte eine breite Bewegung für eine strikt weltliche Volksschule. Ihre führenden Köpfe waren die Reformpädagogen Wilhelm Holzmeier, Fritz Gansberg und Wilhelm Scharrelmann. Unterstützt wurde sie vom Großteil der Lehrerschaft. Im Jahr 1905 reichte diese eine Petition bei der Schulbehörde ein: „Die Schule ist eine Veranstaltung des Staates; die Religion aber ist Privatsache“, lautet deren erster Satz. Glaubens- und Gewissensfreiheit bedeute, dass der Staat die Pflicht hat, für die wissenschaftliche, technische und sittliche Bildung der Kinder zu sorgen, aber eben auch kein Recht auf dogmatisch-religiöse Unterweisung. An deren Stelle müsse ein planmäßiger Moralunterricht und vergleichende Religionsgeschichte treten. „Die Sittlichkeit, die wir meinen“, erläutern die Petenten 1906 in der Zeitschrift „Roland“, „hat mit der überlieferten Religion gar nichts zu tun, und aus demselben Grunde bekämpfen wir die ‚Bildung des christlichen Charakters‘, denn nach unserer Meinung kann auch ein Jude oder Mohammedaner oder Buddhist einen sittlichen Charakter haben.“ Der Kampf der Bremer Lehrer wurde im ganzen Reich wahrgenommen. Bedeutende Intellektuelle wie die Dichter Rainer Maria Rilke und Arno Holz, der Theaterkritiker Alfred Kerr und der Philosoph Ernst Haeckel unterstützten sie. Im Kaiserreich scheiterten die Bremer Lehrer. Holzmeier und Scharrelmann erhielten für ihr Engagement ein Berufsverbot. Erstmals abgeschafft wurde der Religionsunterricht im Januar 1919 durch die Bremer Räterepublik vor allem auf Betreiben des Lehrers Hermann Böse. Zwei Jahre später wird der biblische Geschichtsunterricht jedoch wieder eingeführt. CS

VON TERESA HAVLICEK

Das Fach „Biblischer Geschichtsunterricht“ (BGU), so wie es derzeit unterrichtet wird, soll erneuert werden. Abschaffen? Oder durch Islamkunde ergänzen? Eine Diskussion mit vielen Stimmen: Die verschiedenen Religionsgemeinschaften, die LehrerInnen, die Elternschaft und nicht zuletzt die politischen Parteien sind beteiligt. Seit Donnerstag wird nun auch in einem Forum im Internet diskutiert. Mit der Frage „Wie viel Religion braucht die Schule?“ bittet Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) die BürgerInnen zur „E-Partizipation“.

Derzeit wird Religion in Bremen als „Biblische Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage“ unterrichtet. Der Unterricht ist für SchülerInnen aller Glaubensrichtungen offen. Eine Spezialität, abgesichert durch die „Bremer Klausel“ im Grundgesetz und ausformuliert in der Landesverfassung. Als Alternative können SchülerInnen das Fach Philosophie belegen. In der Praxis wird BGU nur an einem Teil der Schulen angeboten - ein Zustand, den nicht zuletzt die christlichen Kirchen kritisieren. Andere werfen die formale Begrenzung auf die biblische Geschichte vor. Nicht-christliche Religionen spielen da eine untergeordnete Rolle. Deshalb hatte die CDU angeregt, neben Philosophie Islamkunde als Alternative anzubieten. SchülerInnen haben dazu bislang allerdings nur an einer einzigen Bremer Schule, dem Schulzentrum Koblenzer Straße in Tenever, die Möglichkeit. Dort können sie zwischen den Fächern Islamkunde, BGU und Philosophie wählen.

Die Grünen streben eine Änderung der Landesverfassung an und fordern einen verpflichtenden Unterricht in allgemeiner Religionskunde. Der es ermöglicht, religiöse Unterschiede, ethische Probleme und Themen wie Homosexualität oder Gleichberechtigung religionsübergreifend zu diskutieren. Dafür suchen sie UnterstützerInnen in allen Parteien, zur Verfassungsänderung braucht es eine 2/3-Mehrheit in der Bürgerschaft. Die verschiedenen Positionen finden sich im Internetforum der Bildungsbehörde wieder. Neben Statements der einzelnen Parteien haben auch VertreterInnen der katholischen und der evangelischen Kirche, der islamischen Religionsgemeinschaft in Bremen und der jüdischen Gemeinde in die Tasten gegriffen. Für die islamischen Gemeinden spricht Mehmet Kilinc von der Schura, Elvira Noa vertritt die jüdische Gemeinde in Bremen.

Vor allem aber sind im Forum die Meinungen der BürgerInnen gefragt: „Für uns ist interessant, was gedacht wird, besonders von jungen Leuten“, sagte Jürgens-Pieper bei der Eröffnung. UserInnen müssen schnell sein: Bis Donnerstag, 26. März, können sie die Experten-Statements kommentieren und eigene Vorschläge ins Netz stellen. Auch die Form ist vorgegeben: Maximal 2000 Anschläge in Arial, Schriftgröße 12. Selbstverständlich darf auch die so genannte „Netiquette“ nicht verletzt werden: Zwei ModeratorInnen überprüfen die Beiträge, bevor sie im Netz erscheinen. „Unflätigkeiten werden nicht geduldet“, so die Bildungssenatorin.

Am Text müsse jedoch entschieden werden, inwiefern ein Beitrag verfassungsfeindlich ist. Denn: „Bei dem Thema geht es ja schließlich um die Verfassung“. Nach dieser ersten Phase werden die Beiträge ausgewertet: Die ModeratorInnen stellen die häufigsten Vorschläge vor, die UserInnen können bis Donnerstag, 2. April, für ihren Favoriten abstimmen. Die Ergebnisse dieser Forumsdiskussion werden von den politischen und den Fachgremien zur Kenntnis genommen, erklärte Jürgens-Pieper. „Sie sind ein Element unserer Diskussion“, sagte sie. Bis zu den Sommerferien werde über die Zukunft des BGU entschieden.

Jürgens-Pieper selbst hat da schon recht konkrete Vorstellungen: „Die Debatte ist offen“, sagt sie bei der Präsentation. „Aber nicht zu offen“. Es gehe um inhaltliche Fragen, die Einbindung weiterer Religionsgemeinschaften oder ob mehrere Ersatzfächer eingerichtet werden. Mehr nicht? „Der Senat hat sich darauf verständigt, unter der Verfassungsänderung zu bleiben“.

Der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Hermann Kuhn ist da anderer Auffassung: „Einen Beschluss des Senats als Kollegialorgan hat es bislang nicht gegeben“. Man sei in der Diskussion. „Sie muss aber offen und grundsätzlich geführt werden“, sagt er. Auch für Mustafa Güngör, immerhin wie Jürgens-Pieper SPD und dort Bildungspolitischer Sprecher, ist die Entscheidung bisher noch nicht gefallen. Man wolle über Gespräche mit den verschiedenen Religionsgemeinschaften und den Schulen einen Lösungsvorschlag finden. „Auch die Internetplattform kann dabei hilfreich sein“, sagt er. Eine Verfassungsänderung schließt Güngör nicht gänzlich aus - auch wenn sie für ihn „keine primäre Rolle in der Diskussion spielt“.

Im Netz: forum.biba.uni-bremen.de