Lafontaines Saat?

Der ehemalige Ministerpräsident soll wegen seiner Kritik an Hartz IV schuld am Erfolg der NPD im Saarland sein

BERLIN taz ■ Es wird zur beliebten These: Oskar Lafontaine sei schuld, dass die NPD im Saarland so unerwartet 4 Prozent erreichte. Noch am Wahlabend brachte der alte und neue CDU-Ministerpräsident Peter Müller diese Deutung in Umlauf. Er sprach von der „Saat des Oskar Lafontaine … Er treibt der NPD die Hasen in den Stall.“ Genauso sah es gestern die grüne Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt: „Einfache Parolen“ wie die von Lafontaine würden die Wähler an den rechten Rand treiben. Oder FDP-Chef Guido Westerwelle: „Die maßlose Demagogie“ von Oskar Lafontaine und der PDS hätten der NPD den Weg bereitet.

Was ist von dieser Analyse zu halten? „Die Rhetorik von Lafontaine setzt tatsächlich Wähler in Bewegung“, meint der Göttinger Parteienforscher Franz Walter. Er wirft dem Ex-SPD-Parteichef vor, „fast verspielt“ mit einer Linkspartei zu kokettieren, aber letztlich „nichts Konstruktives anzubieten“. Die mobilisierten Protestwähler blieben „ohne Ventil“ und würden sich „heimatlos“ dann der NPD zuwenden.

Ähnlich sieht es Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen: „Lafontaines Einfluss lässt sich nicht quantifizieren, aber er war ein Faktor für den Erfolg der NPD.“ Natürlich nicht, weil er deren Gedankengut teile, sondern „weil er keine Alternative im Parteienspektrum anbietet“. Allerdings dürfe man den Einfluss von Lafontaine nicht überschätzen: Wie die Forschungsgruppe ermittelt hat, ist kein Politiker im Saarland inzwischen derart unbeliebt. Selbst SPD-Wahlverlierer Heiko Maas komme bei den Wählern wesentlich besser an – „obwohl er relativ farblos ist“.

Die aktuelle Lieblingsthese im Politikbetrieb sei also nicht ganz falsch, aber zu schlicht. Denn schließlich, so Jung, „gibt es objektiven Protest gegen die Arbeitsmarktreformen“. Doch wird dies von etablierten Parteien nicht berücksichtigt, die vor allem die Mittelschichten bedienen. „Bestimmte Schichten werden kulturell abgehängt“, sagt Walter. „Für junge arbeitslose Männer gibt es keinen Ansprechpartner.“ Das hat durchaus seine Logik, sind doch die „Interessenlagen“ (Jung) innerhalb der Wähler allzu unterschiedlich: „Eine große Mehrheit der Beschäftigen hält ihren Arbeitsplatz für sicher.“

Doch wäre es falsch, zu glauben, dass die Gruppe völlig bedeutungslos ist, die von der Arbeitslosigkeit entweder betroffen oder bedroht ist: „Das ist keine terroristische Minderheit“, so Walter, „die Arbeiter machen ein Drittel der Erwerbstätigen aus.“ Und solange die etablierten Parteien diese Gruppe ignorieren, würden andere in die „kulturelle Lücke“ stoßen. Am besten die PDS, wie Walter findet, die eine Partei sei, „wie sie sich eine Demokratie nur wünschen kann“. Anders als die NPD sei sie kein „klandestines Trüppchen, sondern sie kanalisiert den Protest und integriert ihn ins System.“ ULRIKE HERRMANN