: „Irgendwie werde ich es schaffen“
Kalusha
Seine Stimme klingt rau, der Beat ist hart, seine Reime derb und dann das scheppernde Gebelle im Hintergrund – Kalusha macht deutschen Gangsta-Rap pur. Mittlerweile laufen seine Songs auf Viva. Früher dealte er in Weddinger Hinterhöfen mit Drogen, auf den Straßen prügelte er sich mit Araber-Gangs und in den Underground-Clubs brachte er es zum „Boss of the Gang“. Weil der 24-jährige Ghanaer, der mit bürgerlichem Namen Forster Yeboah heißt, vor zwei Jahren einen Schlecker-Laden überfiel, sitzt er jetzt für sechs Jahre im Knast. Danach soll er abgeschoben werden. Ein Hoffnungsschimmer bleibt ihm: der Rap.
INTERVIEW FELIX LEE
taz: „Nicht zur Nachahmung empfohlen“ heißt Ihr jüngstes Album. Eine Mahnung?
Kalusha: Schon. Immerhin sitze ich im Knast. Ich kann niemandem empfehlen, diesen Weg einzuschlagen.
Bereuen Sie Ihr Leben etwa?
Natürlich, ich hätte schon gerne etwas anderes gemacht. Ich habe viel verloren wegen des Knasts, viel Geld, Freunde, meine Wohnung.
Aber Sie profitieren doch auch von Ihren Erlebnissen auf der Straße und im Gefängnis. Musikkritiker loben, Ihre Texte seien so authentisch.
Das hat nichts mit Profit zu tun. Ich habe Musik gemacht, weil ich Lust drauf hatte. Und zwar Musik, die mit mir und meinen Kumpels zu tun hat. Dass daraus jetzt ein Album entstanden ist – okay, ein positiver Nebeneffekt. Den hätte ich aber auch ohne Knasterfahrung gehabt. Da bin ich mir sicher. Die meisten meiner Texte handeln gar nicht vom Knast.
„Bing Bang ist, woran wir denken / wenn wir Kugeln in die Richtung von deinem Kopf lenken“, heißt es im letzten Lied Ihrer CD. Haben Sie wirklich auf jemanden geschossen?
Natürlich laufe ich nicht mit einer Waffe durch die Gegend und knalle Leute ab. Wir sind ja hier nicht in Detroit oder L.A. Rap ist Kunst, da muss man auch mal übertreiben, damit es gut klingt. Trotzdem ist an den Texten viel Wahres dran. Ich habe Leute kennen gelernt, Mann, da würden dir die Ohren abfallen, wenn ich anfange, davon zu erzählen.
Zum Beispiel?
Krasse Sachen. Zum Beispiel so ein Typ. Der saß schon mal in der Jugendvollzugsanstalt Tegel, 1998 war das. Der hatte einem anderen eine Fünf-Kilo-Scheibe auf den Kopf gehauen, ihn umgebracht und dann die Leiche versteckt. 2003, als ich für ein paar Monate nach Tegel kam, schlug er wieder jemanden zusammen. Ich habe die Zelle gesehen, alles war voll Blut. Dieser Typ war krank. Eigentlich hätte er von uns allen fern gehalten werden müssen, in eine Isolationszelle, zumindest aber in psychologische Behandlung.
Davon ist in Ihren Liedern aber nichts zu finden.
Ich reime auch nicht über alles, was ich erlebt habe.
Erst im Knast haben Sie die meisten Texte Ihres Albums geschrieben.
Wenn man 23 Stunden eingesperrt ist wie ich am Anfang meiner Haftzeit in Moabit, dann geht einem nur ein Gedanke durch den Kopf: Wann komme ich hier endlich wieder raus. Einen Monat lang lebte ich mit der Ungewissheit, ob ich hier ein halbes Jahr sitzen muss oder vielleicht noch länger. Ich sag dir, das treibt dich zum Wahnsinn. Um mich in dem dunklen Loch abzulenken, habe ich versucht, an andere Dinge zu denken. Das Schreiben war mir dabei eine Hilfe.
Wie sind Sie nach Deutschland gekommen?
Mit acht Jahren holte mich meine Mutter aus Ghana. Ich hatte eine Herzkrankheit. Die Ärzte im Virchow-Klinikum machten mich gesund. Wir blieben. Damals erlebte ich so etwas wie einen Kulturschock. Ich kam aus einem Ort, wo es kein fließendes Wasser gab und vor allem keinen Massenkonsum. Erst als Erwachsener habe ich begriffen, dass das damals ein Schock für mich war.
Aber fließendes Wasser und Strom sind doch Annehmlichkeiten.
Das schon, aber in Ghana waren wir alle irgendwie gleich. Jeder hatte das, was der andere auch hatte. Wir teilten die Sachen miteinander. Hier ist das anders: Die Alten hängen vor der Glotze und saufen, die Jungen klauen Sprit im Supermarkt und verkaufen ihn. Und alle nehmen sie Drogen. Und dann dieser Klassenunterschied: Der eine trägt Markenklamotten, der andere nicht. Und dann wird man gehänselt. Mich nannten sie „Negerkuss“. Weil mein Deutsch damals noch nicht so gut war, fragte ich meine Mutter, was das heißt. Sie sagte nur: nichts Gutes. Ich dachte, es liegt an den Klamotten. Ich wollte auch teure Klamotten. Meine Mutter hatte aber kein Geld. So fing es dann an.
Womit?
Mit dem ganzen Scheiß. Zunächst war es Diebstahl im Kaufhaus, dann immer häufiger Schlägereien mit anderen Gangs. Mit 14 hatte ich meinen ersten Akteneintrag. Da bin ich nur aus Versehen reingerutscht. Später dann hatte ich aber ständig Ärger mit den Bullen, vor allem aber mit meiner Mutter. Sie arbeitete frühmorgens als Reinigungskraft. Meine Mutter ist sehr autoritär erzogen worden, so hat sie mich auch behandelt. Irgendwann bin ich weggelaufen.
Wie alt waren Sie da?
Elf. Ich kam in eine Wohngemeinschaft für betreutes Wohnen. Dort war ich aber nur selten. Vor allem lebte ich auf der Straße. Irgendwie war das ein schönes Leben. Die Mädchen schwärmten von mir. Ich war angesagt und brachte es zum „Boss of the Gang“.
Und um cool zu sein, gehörte auch das Rappen dazu.
Ein Freund hat mich angesteckt. Statt das Nachäffen der Rap-Texte meiner Lieblingssongs sollte ich doch mal eigene Reime zu Papier bringen. Meine ersten Texte schrieb ich zunächst noch auf Englisch – da war ich 16 Jahre alt. Ich hatte einen Rechner und das Programm Fruity Loops, mit dem man eigene Beats basteln kann. Mit der Berliner Rap-Szene konnte ich nicht viel anfangen. Ich kannte die Leute zwar, aber ich hatte nicht viel mit ihnen am Hut. Ich war eher der stille Beobachter. Mein Vorbild waren die „Gangsta-Rapper“ der Schwarzen aus L.A. und Houston. Irgendwann in den späten 90er-Jahren schwappte die Welle auch nach Berlin. Gerappt wurde über alles. Hauptsache die Texte sind hart. Mit 19 rappte ich auch auf Deutsch. Ich dachte, du lebst in Deutschland, du sprichst perfektes Deutsch, warum Englisch, wenn ich mich auf Deutsch viel besser mitteilen kann?
Und trotzdem der nichtdeutsche Künstlername Kalusha.
Das war 1997. Ich war damals das erste Mal seit der Kindheit wieder in Ghana. Auf einem Bus sah ich den Namen Kalusha und dachte mir: Wow, was für ein Name. Ich hatte damals schon gerappt und war auf der Suche nach einem coolen Namen und fragte meine Mutter, ob sie den Namen schon mal gehört hat. Sie meinte, es sei ein ganz üblicher Name. Erst später im Knast erzählte mir ein Insasse aus Algerien: Kalusha heißt „der Schwarze“. Da hatte sich der Name in der Szene aber längst durchgesetzt.
Wie ging es weiter mit den Straftaten?
Alles, was es über mich zu sagen gibt, steht in meiner Akte. Ich kann nur sagen: Die Schlecker-Geschichte war der Tiefpunkt. Es war im Juni 2002, ein Tag vor meinem 22. Geburtstag. Ich war pleite. Ich raffte nicht, dass wir die ganze Zeit beobachtet wurden. Als sie mich dann schnappten, war mir in dem Moment klar: Jetzt bin ich erst mal für ein Weilchen weg. Ich hatte ja bereits eine Bewährungsstrafe zu verbüßen. Der Gefängnispsychologe empfahl mich noch für den offenen Vollzug. Irgendwie muss die Empfehlung aber untergegangen sein. Stattdessen kam ich in die Jugendvollzugsanstalt Tegel in Haus III, dem Haus der Lebenslänglichen. Ein Rattenloch. Ein kleines vergittertes Fenster, die Farbe an den Wänden blätterte ab und alles stinkt nach dem Metall der schweren Eisentüren. Zu dritt mussten wir eine zehn Quadratmeter große Zelle teilen. Für mich war klar: Ich muss so schnell wie möglich raus.
Sie waren mitten in der Produktion Ihres Albums. Wie kam Ihr Label mit dem Überfall zurecht?
Jochen, mein Manager, wusste erst mal nichts. Ich habe ihm dann alles erzählt. Ich weiß nicht, ob es seine soziale Ader war, aber er hielt zu mir und sagte: Okay, wenn wir weitermachen, hat das ohne Rückfälle zu geschehen. Jochen vertraut mir. Er findet, dass ich so viel Mist erlebt habe, dass ich einfach ein Happyend verdient habe. Dann haben wir uns an die Arbeit gemacht. Seitdem stehe ich an meinem freien Samstag bis sieben im Studio. Seit der Einzelhaft weiß ich, wie lange eine Sekunde sein kann. Da bleibt keine Zeit für überflüssiges Gelaber und keine Zeit für Beats, die nicht bouncen. Dann holt mich meine Freundin ab. Pünktlich um 23 Uhr bin ich wieder in der Anstalt.
Wissen Ihre Mithäftlinge von Ihrem musikalischen Erfolg?
Erst haben sie mich nicht ernst genommen, weil sie nicht wussten, dass ich Musik mache. Aber jetzt haben die meine Videos auf Viva gesehen und finden das cool. Die reden über mich, positiv und negativ. Aber das ist auch okay so.
Wie haben Sie es doch noch von Tegel in den offenen Vollzug geschafft?
Noch in Tegel habe ich meinen Abschluss zum Mediengestalter gemacht. Zur praktischen Prüfung bei der Industrie- und Handelskammer musste ich mit Hand- und Fußschellen kommen. Zwei bewaffnete Beamte haben mich begleitet. Die von der Prüfungskommission waren alle geschockt. Mir war das unangenehm, aber ich bestand die Prüfung. Wenig später kam ich dann nach Düppel in Zehlendorf. Dort bin ich den ganzen Tag draußen. Unkraut zupfen, irgendwelche Löcher buddeln, einfach so zur Beschäftigung. Acht Stunden am Tag von Viertel vor sieben bis Viertel vor drei. Seitdem mein Sohn vor drei Wochen auf die Welt gekommen ist, erlauben sie mir drei freie Tage in der Woche. Das ist echt großzügig.
Sie haben einen Sohn?
Ich habe gelesen: Kinder bis zum dritten Lebensjahr kriegen nicht mit, wenn ihr Vater im Knast sitzt. Dem Kind wird nur auffallen, wenn ich da bin. Ich sehe zu, dass ich meine freie Zeit intensiv mit dem Sohn verbringe.
Das heißt: erst mal weniger Musik?
Der Sohn hat Priorität. Aber ohne Geld – kein Kind. Mit den 100 Euro im Monat in Düppel kann ich ihn ja nicht ernähren.
Rechnen Sie mit einer früheren Entlassung als August 2007?
Mein frühester Termin ist der 8. Januar 2006. Aber dann soll ich nach Ghana abgeschoben werden. Das ist eigentlich schon beschlossene Sache. Gründe dafür hat die Ausländerbehörde zur Genüge. Vielleicht kann ich sie mit meinem kommerziellen Erfolg überzeugen. Ich weiß zwar nicht, ob das reicht. Aber ich bin mir sicher: Irgendwie werde ich es schon schaffen. Ich muss.