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Archiv-Artikel

„Man darf nicht alles auf Hitler konzentrieren“, sagt Stephan Malinowski

Dem verarmten Adel schienen die Nazis zunächst als Alternative. Eine überzeugende Distanzierung fehlt heute noch

taz: In Bernd Eichingers Film „Der Untergang“, der heute startet, lässt sich Luftwaffengeneral Ritter von Greim von der Ostfront nach Berlin zum Führer fliegen. Warum – er muss doch erkannt haben, dass die Niederlage bevorsteht?

Stephan Malinowski: Eine Version ist, dass er Hitler zur Kapitulation überreden wollte, aber letztendlich dessen Charisma erlegen ist und davon überzeugt war: Alles wird gut. Eine andere Version lautet: Von Greim ist reingeflogen, weil Hitler ihn gerufen hatte, als Nachfolger von Göring anzutreten, der sich bereits abgesetzt hatte.

Das heißt, er war bis zuletzt vom Endsieg überzeugt?

Man darf das annehmen. Wie viele andere musste er überhaupt nicht umgedreht werden. Ich denke, man darf nicht, wie es der Film tut, alles auf die Person des Führers konzentrieren. Das bedeutet ja, die Leute wollten das Gute und wurden vom Dämon verführt. Nein, diese Leute hatten diese Energie selbst.

Welche Rolle haben Adlige in den letzten Tagen des Dritten Reiches gespielt?

Sie reihten sich ein in das allgemeine Aushalten-bis-zum-Ende, das die Funktionseliten charakterisierte.

Woher kam dieser Realitätsverlust?

Das betrifft nur die besonders Verblendeten. Den anderen war zwar klar, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen ist, aber sie sahen einfach keine Optionen, hatten auch Angst vor Rache. Diese Offiziere wussten ja vom Genozid und um die Kriegsverbrechen, die sie beobachtet oder selbst mit ausgeübt hatten. Über die Gefangennahme hinaus wollten viele nicht weiterleben.

Welches Weltbild liegt diesem „Bis zum bitteren Ende“ zugrunde?

Im Adel gibt es dazu den Begriff „Haltung“. Eine einmal für richtig befundene Position verlässt man nicht, egal wie sich die Realität darum verändert. Wenn man im 14. Jahrhundert entscheidet, man baut Roggen an, dann macht man das auch im 20. Jahrhundert.

Aber wie wird aus Konservatismus diese mörderische Weltsicht?

Das ist ein aus dem Adel kommender Ehrenkodex, der sich in Standhaftigkeit, Treue, Loyalität und der Bereitschaft zu sterben niederschlägt. Besonders im preußischen Adel ist es so, wo die jüngeren Söhne in aller Regel ins Militär gingen. Sie wurden praktisch ins Offizierskorps hineingeboren. Diese Militärclans hatten das Töten und Getötetwerden fast habituell eingeschrieben – seit Jahrhunderten.

Wieso stellte sich der Adel in den Dienst von Hitler, den er als Plebejer verachtet hat?

Das ist eine Nachkriegskonstruktion von Adligen. Liest man Briefe von 1933 bis 1945, entsteht ein ganz anderes Bild: Da heißt es, seine Bewegung sei interessant, Hitler zerschlage die Linke und mit denen müsse man etwas machen. Daran hängt auch die Hoffnung, in den Beutegebieten Güter zu kaufen und sich auf Generationen wieder absichern zu können. Für den verarmten Adel schien der Nationalsozialismus eine echte Perspektive zu bieten.

Aber doch 1945 nicht mehr. Wieso das Festhalten an Hitler?

Darauf haben Historiker keine überzeugende Antwort. Man kann es nur auf der Ebene von Biografien klären. Aus den Quellen, die ich kenne, gibt es einen Restbestand Hoffnung, Fatalismus und dem, was man „Nibelungenthema“ nennt. Wenn wir schon nicht siegen können, dann werden wir eben in solcher Größe und Vollständigkeit untergehen, dass die Welt noch in 2.000 Jahren davon spricht. Der Untergang als Gesamtkunstwerk.

Nun sind sie nicht in Glanz und Größe untergegangen. Wie haben sie über die Niederlage hinaus weitergelebt?

Nach 1945 schaffte der Adel es, sich an die Republik anzupassen und in bürgerliche Berufe hineinzuwachsen. Meine Theorie ist, der Kleinadel ist weg, diese aggressiven, radikalisierten Gruppen. Sie hatten ihr kulturelles und ökonomisches Rückgrat verloren, die Güter im Osten. Die, die übrig blieben, hatten keine Wahl, als Abitur zu machen und BWL zu studieren.

Und diese Haltung, die Sie beschrieben haben, von der ist nichts mehr übrig?

Doch, aber wie. Es gibt auch eine adelsspezifische Art, das Dritte Reich zu verarbeiten. Schlägt man das genealogische Nachschlagewerk auf, sind alle Angehörigen während des Zweiten Weltkrieges in Wehrmachtsuniform abgebildet – in Bänden, die jetzt gedruckt wurden. Als hätten die Familien keine anderen Bilder. Das zeigt, dass das Militärische und diese „Ehre“ des militärischen Sterbens bis heute weitertransportiert werden.

Das zeugt eher von mangelnder Reue.

In vielen Fällen wird es so sein. Aber sie sehen sich nicht als Täter, sondern als Opfer.

INTERVIEW: ANNA LEHMANN