: So wird etwas aus Ihrem Kind
VON CHRISTIAN FÜLLER
1. Lassen Sie Ihr Kind mit Schmuddelkindern lernen.Seien Sie doch mal ehrlich: Ihre Phobie vor der „Schule für alle“ beruhte auf tief sitzendem Elitedenken. Klar haben Sie früher in Uni-Seminaren gern auch mal vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus argumentiert. Später jedoch empfanden Sie es zunehmend als belastend, die lauten Unterschichtblagen in Kita und Grundschule ertragen zu müssen. Schon blöd, wenn beim Kindergeburtstag plötzlich ein rauchender Hilfsarbeiter mit am Kaffeetisch saß. Sie gerierten sich, ohne es zu merken, als Bildungsbürger und schlugen sich auf die Seite versnobter Philologen, unbelehrbarer Kultusminister und in die FAZ-Schmollecke. Schluss damit. Nehmen Sie Willy Brandts Idee von der Bildungsexpansion endlich ernst! Die Schule für alle wird ganz anders sein als die doofe deutsche Gesamtschule aus Hessen und Nordrhein-Westfalen. Und sie kriegt auch einen neuen Namen: Gemeinschaftsschule.
2. Protestieren Sie ruhig gegen die Gemeinschaftsschule!Sie stehen damit in der Tradition vieler Generationen, die ihre Kinder nicht zu Versuchsobjekten einer Schulreform machen wollten. Das war schon immer so. Deutsche sehen, seitdem einst Preußens Gymnasium nur einer hauchdünnen Oberschicht von zwei Prozent die Hochschulreife zugestand, zwischen Masse und Klasse einen angeborenen Widerspruch. Ihr Problem ist: Sie stehen auf verlorenem Posten. Die Gegner einer Gemeinschaftsschule werden immer weniger. Die cleveren Teile der Wirtschaft – vom Handwerkstag des boomenden Südwestens bis zu den feinen McKinsey-Consultants –, die GEW sowieso, mutige Elemente bei Grünen wie SPD und viele mehr wissen: 25 Prozent Schülerausschuss als Erfolg der dreigliedrigen Schule tun keinem gut – dem Nachwuchs nicht und der Ökonomie auch nicht. Und siehe da: Auch Eltern sind für die Gemeinschaftsschule. In den sich entvölkernden Gebieten des Ostens oder auf Inseln – weil es dort gar nicht genug Kinder gibt, um drei Schultypen zu füllen. Da, wo es gute Gesamtschulen gibt, und überall dort, wo Papa und Mama wissen: Nur weil ein Zehnjähriger den Sprung aufs Gymi nicht schafft, ist er kein Depp. Geben Sie Spätzündern eine Chance.
3. Fürchten Sie sich nicht vor der Gemeinschaftsschule!Wenn alles prima läuft, wird sie eine helle, schöne Schule für alle Kinder von der ersten bis zur neunten (oder gar zehnten) Klasse. Nicht nur die unsinnig frühe Sortierung von Kindern nach „Begabung“ ist dort abgeschafft. Die ganzen Relikte der Lehranstalten für die alte Industriegesellschaft fallen weg: Einteilung in Fächer, Beschulung nach staatlichem Lehrplan, Frontalunterricht, Schulbeginn in aller Herrgottsfrühe, alle 45 Minuten Klingelzeichen. In der Gemeinschaftsschule ist’s ein bisschen wie in den international anerkannte deutschen Grundschulen: Alle Kids sind gleich viel wert – dafür werden sie so individuell gefördert, wie es nur geht. Das bedeutet: Keine Gruppierung nach Leistung, sondern Teambildung nach Interesse, Thema und Projekt. Ein Assistenzlehrer steht zur Verfügung, um mit Vorauseilern und Nachzüglern Sonderschichten zu schieben. Ach, übrigens: Keine Sorge, die ehrwürdigen Gymnasien werden nicht geschleift. Sie beginnen bloß erst mit der 10. Klasse und sind offen für bis zu 70 Prozent eines Jahrgangs.
4. Verlangen Sie Leistung!Was sind eigentlich die „Leistungen“ der gegliederten Schule? Sie bringt, trotz des vermeintlichen Elitebrüters Gymnasium, nur eine kleine Spitze hervor. Dafür schaufelt sie alljährlich knapp ein Viertel eines Jahrgangs als radebrechende Schlechtleister auf den Markt – die wenig Chancen auf Teilhabe am sozialen oder Berufsleben haben. Kompetenzerwerb und Abschlüsse verlaufen in der deutschen Kröpfchen-Töpfchen-Schule streng entlang von Bildungsstand und Einkommen der Eltern. Und die Ausleseschule knausert allzu sehr mit der Hochschul-„Reife“. Nur mit Abitur kommt man auf die Uni, das Abi aber ist für maximal 40 Prozent eines Jahrgangs reserviert. Warum sollen nicht auch Meister studieren dürfen? Wieso stiehlt man Gesellen Jahre, indem man sie in Abendkursen fürs Abitur nachsitzen lässt?
5. Schauen Sie in die Vergangenheit!Da haben die deutschen Halbreformer ganz extraordinäre Erfahrungen mit der Schule für alle gemacht. In der ollen DDR hieß das POS und EOS. Die Polytechnische Oberschule war als „Einheitsschule“ zehn Jahre lang für alle da. Die Erweiterte Oberschule siebte dafür umso härter: nach Gesinnung und Noten. Allerdings nahm die DDR das mit der Disziplin zu ernst. Die Anstalten der Volksbildungsministerin Margot Honecker (SED) versuchten zusammenzubringen, was nicht zusammengehört: Chancengleichheit für alle und den Rohrstock des Alten Fritz. Auch die „Gesamtschule“ à la Hessen und NRW im Westen war ein lebensunfähiger Zwitter: Sie behauptete, eine Schule für alle zu sein, separierte aber innerhalb der Klasse nach Leistungsgruppen. Eine Klasse hatte so manchmal 30 Lehrer. In den Hauptfächern wurde den Schülern täglich vorgeführt, wer die Doofen aus dem Förderkurs sind. Machen Sie es diesmal besser!
6. Halten Sie Ihre Geldbörse bereit!Die Einführung der Gemeinschaftsschule wird eine schöne Stange Geld kosten. Tausend neue Schulgebäude braucht das Land, in denen es endlich Spaß macht, zu lernen. Das wird, erstens, eine fette Dopingspritze für die deutsche Bauwirtschaft und bringt ein bisschen Aufschwung. Zweitens wäre die Gemeinschaftsschule eine Investition in die Köpfe. Mehr Akademiker sind möglich! Also, selbst wenn Sie auf die Eigenheimzulage verzichten müssen, verzagen Sie nicht. Bald nämlich, wenn den Reden Taten folgen, brauchen Sie kein Geld mehr für die Privatschulen ihres Kindes zur Seite legen – dann sind öffentliche Schulen so gut wie die der Finnen.
7. Lernen Sie den Lehrer Ihres Kindes kennen!Wollten Sie doch schon immer mal. Künftig können Sie weder der beamtige Auftritt noch das Alter des Paukers schrecken. LehrerInnen machen bald schon mit Anfang 20 erste Praktika in der Schule und sind in der Regel Angestellte, die von der Schule Ihres Kindes selbst ausgesucht werden. Auf die PädagogInnen kommt eine Kulturrevolution zu. Sitzenbleiben und Aussortieren gilt nicht mehr. Sie müssen mit neuen Lehr-Lern-Formen arbeiten, bei denen weniger doziert und Schülern viel mehr Freiraum gewährt wird. Wochenpläne sind der Normalfall. Schüler entscheiden gemeinsam mit Lehrern, wie der Rahmenlehrplan und die Bildungsstandards für die Bundesrepublik umgesetzt werden. Ein ganz harter Brocken für die Lehrer wird auch, dass die eingebildete Feindschaft zwischen Grund-, Real- und Hauptschullehrern ein Ende haben muss. Künftig gibt es Lehrer – und keine Lehrämtler für die jeweilige Schulform.
8. Freuen Sie sich auf interessante Gespräche mit Ihrer Diplomfriseurin!Schon bald soll eine Mehrheit der deutschen Teenies die Berechtigung zum Studium erhalten. Dann muss Ihr Kind nicht zwingend so schwere Kost wie, ach, Philosophie, Juristerei oder Medizin studieren. Die fachschulische Ausbildung für Gesundheitsberufe und, vor allem, die der ErzieherInnen wird in Studiengänge verwandelt. So wie es in Australien oder in den USA möglich ist, an City-Colleges zu „studieren“, wird auch die deutsche Universität nicht mehr dem Trugbild der Professorenschmiede aufsitzen. Warten Sie mal ab, wie intellektuell anregend das Gespräch mit einer Diplom-Friseurin (FH) sein kann. Und Ihre Kindergeburtstage hören auf, Schauplätze heimlichen Klassenkampfes zu sein.
Mitarbeit: Florian Hollenbach