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Archiv-Artikel

Weiter Streit um Ehebruch

Aufgrund des Drucks religiös-konservativer Kräfte verweist das türkische Parlamentdie Strafrechtsreform in den Ausschuss zurück. Brüssel über Verzögerung besorgt

ISTANBUL taz ■ Nach drei Tagen Beratungen, hat das türkische Parlament am Donnerstagabend die Reform des Strafgesetzbuches vertagt und in den Justizausschuss zurückverwiesen. Der Grund für diesen beispiellosen Abbruch bei der Verabschiedung eines wichtigen Reformwerkes ist das Chaos in der regierenden AKP im Streit um die Kriminalisierung von Ehebruch.

Nachdem die Parteiführung in Abwesenheit von Premier Tayyip Erdogan sich am Dienstag mit der Opposition verständigt hatte, auf den Zusatz im Strafgesetzbuch zu verzichten, probte am Donnerstag ein Teil der AKP-Fraktion den Aufstand. Diese, der Milli-Görüs angehörende religiös-konservative Strömung bestand darauf, im Strafgesetzbuch einen Paragrafen einzufügen. Dieser sollte „sexuelle Untreue“ mit bis zu einem Jahr Haft oder einer Geldstrafe ahnden.

Dem Aufstand der Milli-Görüs-Leute vorausgegangen waren zwei Treffen von Vertretern der verschiedenen Strömungen in der AKP mit Premier Erdogan. Die Religiösen bestanden darauf, dass der im Koran verurteilte Ehebruch einen Niederschlag im Strafgesetz findet.

Die oppositionelle CHP drohte, das Plenum zu verlassen. Schließlich hatte man sich vorher geeinigt, das Strafgesetzbuch zügig zu verabschieden, damit die Reform bei der Formulierung des Türkeiberichtes der EU-Kommission noch berücksichtigt wird. Da die AKP-Führung ihre Abgeordneten nicht mehr auf eine Linie verpflichten konnte, zog sie die Reißleine. Wegen weiterem Beratungsbedarf beantragte sie die Rückkehr der Reform in den Ausschuss.

Jetzt ist unklar, wie es weitergeht. Letztlich wird Erdogan entscheiden müssen, ob ihm ein Teil seiner fundamentalistischen Basis wichtiger ist, als das Einvernehmen mit der Opposition und der Auftritt der Türkei in Brüssel. Dort löste die Verzögerung der Strafrechtsreform „große Sorge“ aus. Bestimmungen wie die geplante Kriminalisierung des Ehebruchs würden „sicher“ Zweifel an den Reformbemühungen der Türkei entstehen lassen, sagte der Sprecher der EU-Kommission, Jean-Christophe Filori. JÜRGEN GOTTSCHLICH

meinung und diskussion Seite 11