: Bildung in Arabien nicht gefragt
Arabische Regenten lassen ihre Völker bewusst verdummen. Zu diesem Schluss kommt der gestern veröffentlichte Bildungsbericht des UN-Entwicklungsprogramms. Danach sinken die Zahl der Studenten und die Bildungsausgaben
aus Berlin THORSTEN DENKLER
Wenn es nur eine Krise wäre, in der die arabische Wissensgesellschaft steckte, dann wäre es eine gute Nachricht. Dann gäbe es eine Basis, und die politischen Machthaber im arabischen Raum müssten die Bildungspotenziale nur durch kluge Entscheidungen wecken. Die Realität sieht anders aus. Bildung ist in den arabischen Ländern nicht gefragt. Zu diesem Schluss kommt der gestern in Berlin und Paris veröffentlichte Bildungsteil des „Arabischen Berichtes über die menschliche Entwicklung“ des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, UNDP. Er ist der zweite in einer geplanten Reihe von vier Berichten, die Entwicklungshemmnisse in der Region skizzieren.
Das Problem ist nicht die islamische Kultur und die Sprache. Im Gegenteil. Nach Ansicht von Nader A. Fergany, Hauptautor der Studie und Direktor des „Almishkat Center for Research and Training“ in Kairo, bieten die Faktoren eine „hervorragende Basis für Kreativität und Wissbegierde“.
Es sind die meist absolutistisch regierenden Machthaber selbst, die ein allzu hohes Bildungsniveau fürchten. Dies ist der Hauptgrund, weshalb sich auch in reichen Ölstaaten hartnäckig eine hohes Analphabetentum vor allem unter Frauen hält, Kinder kaum bis keine Möglichkeiten haben, eine Grundschule zu besuchen, die Studentenzahlen kontinuierlich abnehmen und die Ausgaben für Bildung seit 1985 sinken.
Die Folge: Das Niveau der Bildung im arabischen Raum sinkt. Die Aneignung von Wissen wird von staatlicher Seite konsequent untergraben. Massenmedien gibt es nur in beschränkter Zahl. Auf 1.000 Einwohner kommen im arabischen Raum nur 53 Zeitungsexemplare. In entwickelten Ländern liegt diese Zahl bei 285 Exemplaren.
Zudem kommen die Informationen nur gefiltert beim Leser an. Zensur ist weit verbreitet. Nicht genehme Journalisten werden drangsaliert, kritische Medien geschlossen. Die Studie hat festgestellt, dass die Mehrheit der Zeitungen, Fernseh- und Radiostationen in staatlicher Hand sind.
Den Forschern macht der Indikator „Freiheitliche Rechte“ am meisten zu schaffen. Die ohnehin schon großen Einschränkungen in den Bereichen Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind nach den Anschlägen vom 11. September noch vergrößert worden. Und das schlicht durch die Übernahme der amerikanischen Anti-Terror-Politik. Die eigens von den arabischen Ländern verabschiedete „Charta gegen Terrorismus“ rechtfertigt nach Ansicht der Autoren „Zensur, beschränkt den Zugang zum Internet und behindert den Druck und die Herausgabe von Büchern“.
Der Kampf gegen den Terrorismus hat auch dazu geführt, dass die Zahl arabischer Studenten an westlichen Universitäten abnimmt. Die Studie kritisiert, dass der kulturelle Austausch insbesondere zwischen den USA und den arabischen Ländern faktisch „unterbrochen“ ist.
Damit die arabischen Gesellschaften das – wenn man so will – Tal der Ahnungslosen verlassen können, müssen für die Forschergruppe um Fergany analog der fünf Säulen des Islam fünf Punkte erfüllt sein: Die Freiheit des Einzelnen muss geachtet werden, der Zugang zu Wissen und Bildung erleichtert, Forschergeist muss von den Regierungen stärker nachgefragt werden, die Wissenschaft muss sich ihre arabische Identität bewahren und, als letzte Säule, die Sprache muss sich weiterentwickeln. Letzteres so, dass sie kompatibel wird mit einer technisierten Welt, ohne amerikanisiert zu werden. Denn, sagt Fergany: „Der Text schweigt, Menschen geben ihm eine Stimme.“
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