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Archiv-Artikel

Vom Kümmerer zum Kündiger

Heute will das niedersächsische Kabinett den Ausstieg des Landes aus der Kultusministerkonferenz beschließen. Damit leitet Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) auch das Ende seines Kuschelkurses in der angeschlagenen Union ein

Aus HannoverKai Schöneberg

„Griechische Landschildkröte“, ätzte einst Jürgen W. Möllemann selig, „reaktionärste Einrichtung der Bundesrepublik“, ärgerte sich unselig Helmut Kohl. Jetzt will Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) dem Bildungs-Brontosaurus Kultusministerkonferenz (KMK) an den Kragen. Nicht nur, dass die KMK dem Bürokratie-Drachentöter seinen sommerlichen Vorstoß um die Rücknahme der Rechtschreibreform verhagelt hat. Heute wird im Kabinett in Hannover die „Kündigung des Abkommens über das Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister“ beschlossen.

Wenn einer der 16 Teilnehmer aussteigt, bedeutet das laut einer Vereinbarung von 1959, dass der Vertrag für alle Bundesländer außer Kraft tritt: Also erst mal das Ende der Behörde, die sich um einheitliche Abschlüsse im bildungsföderalen Deutschland kümmern soll – und Verhandlungen für eine neue KMK bis Ende nächsten Jahres. Zu verschnarcht sei das Amt mit seinen 250 Mitarbeitern, mit 50 Millionen Euro zu teuer, argumentiert das Kabinett Wulff. Und irgendwie auch schuld an PISA.

Klar, dass sich plötzlich viele für die KMK in die Bresche schlagen. Mit ihrem Ende gingen dem deutschen Bildungssystem Jahre verloren, seit dem PISA-Desaster habe sie mit der Einführung nationaler Bildungsstandards „Verantwortung“ wahrgenommen, sagt das renommierte Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.

Noch interessanter aber ist, dass neben den SPD-Ländern auch Wulffs Parteifreunde auf Distanz gingen: Nur Bayern und das Saarland stellten sich bislang auf seine Seite. Baden-Württembergs Kultusministerin Annette Schavan hingegen, einst in Wulffs Schattenkabinett und selbst Präsidentin der KMK, rügte den Niedersachsen, er solle endlich selbst Reformvorschläge präsentieren. Schavan führt für die Union auch die Gespräche in einer seit Anfang des Jahres tagenden Reformkommission der KMK, in der es wie bei Wulff um Aufgabenkonzentration und das Ende des Einstimmigkeitsprinzips geht. Ach ja: Am Wochenende gab‘s noch ein leider nur wachsweiches Wulff-Lob von Angela Merkel. Einst wurde er als ihr „Vertrauter“ gehandelt.

Rette sich, wer kann. Seit die Umfragewerte für die Union sinken, ist der Ton aus Hannover auch gegenüber Parteifreunden härter geworden. Wulffs Sommerreise stand noch unter dem Motto: „Wir kümmern uns.“ Das hört sich jetzt anders an: „Wulff ist kein Ankündigungs-Ministerpräsident, sondern ein Kündigungs-Ministerpräsident“, tönt es aus der Staatskanzlei – und man kann nur spekulieren, mit welchem Vorstoß er sich demnächst an Länderfürsten und der angeschlagenen Vorsitzenden vorbei profilieren wird.

Schneller, schlanker und sparsamer soll die KMK werden, auf „Kernbereiche“ konzentriert, Löhne und Gehälter wieder von Bundesniveau auf das des KMK-Sitzes Berlin gesenkt werden. Wie viele Mitarbeiter die Behörde seiner Meinung nach benötigt, will Wulff noch nicht sagen. Eine Reduzierung auf eine zweistellige Zahl scheint aber nicht unwahrscheinlich. Filmausschuss, Sportkommission, Unterausschuss Schulrecht, Arbeitsgruppe Hochschulmedizin – dem Niedersachsen ist auch die Zahl der 36 KMK-Gremien zu unübersichtlich. „Die Stimmung ist schlecht, viele fürchten um ihren Arbeitsplatz“, flüstert es dazu aus den Fluren der KMK.